Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufsichtspflichten einer Anstalt gegenüber einem in offener stationärer kinder- und jugendpsychologischer Behandlung befindlichen 13 Jahre alten Jugendlichen

 

Normenkette

BGB § 832

 

Verfahrensgang

LG Saarbrücken (Urteil vom 12.06.2006; Aktenzeichen 4 O 220/02)

 

Tatbestand

Die Klägerin verlangt von der beklagten Klinik im Regressweg Schadensersatz für den Brand eines Gebäudes ihrer Versicherungsnehmerin ..., Zentrum für Erziehungshilfe, in ... am späten Abend des 22.5.2000. Der Brand wurde durch das damals 13 Jahre alte Kind F. C., verursacht.

F. C. wurde wegen nicht mehr kontrollierbarer Verhaltensauffälligkeiten im Juni 1997 in kinder- und jugendpsychologische stationäre Behandlung zur Beklagten gebracht und lebte seit seiner Entlassung im Februar 1998 in einer Jugendwohngruppe des .... Auch dort zeigten sich im Weiteren erhebliche psycho-soziale Störungen, die zu einer erneuten mehrwöchigen Behandlung im Dezember 1998 bei der Beklagten führten. Danach kehrte er in das ... zurück. Bis Mai 2000 zeigte sich keine Verhaltensbesserung. U.a. entfernte sich F. C. unerlaubt vom Gelände, blieb dem Schulunterricht fern, beging Diebstähle und Sachbeschädigungen, fügte sich selbst Schnittwunden zu, zeigte sich gegenüber anderen aggressiv, u.a. drückte er einem Jungen eine Zigarette an dessen Wange aus. Nach massiven Auseinandersetzungen mit den Erziehern des ... wurde er am 16.5.2000 erneut zur Beklagten zu einer sog. Krisenintervention in eine offene stationäre kinder- und jugendpsychologische Behandlung gegeben. Dort ereignete sich am 20.5.2000 ein weiterer Zwischenfall: F. C. entriegelte sein Zimmerfenster und steigt unerlaubt über den Fenstersims in Richtung eines Spielzimmers. Daraufhin bekam er sog. "Badarrest" erteilt.

Am Tag des Brandes, dem 22.5.2000, verließ F. C. gegen 18:30 Uhr die Station und das Klinikgelände. Gegen 18:45 Uhr wurde sein Verschwinden bemerkt; ein Pfleger versuchte ihn - erfolglos - ausfindig zu machen. Um 20:21 Uhr informierte das Stationspersonal sodann die Polizei. F. C. war inzwischen nach [Ort 1] gelangt und gegen 21:15 Uhr auf dem Gelände des ... von dessen Mitarbeitern gesehen worden. Als die Polizei kam, verschwand er, kehrte hingegen später wieder zurück, drang in ein auf dem Gelände gelegenes Schulgebäude ein und entzündete dort ein Feuer. Die Klägerin zahlte an das ... wegen des Brandschadens 546.908,87 DM (= 279.619,68 EUR). Diesen Betrag verlangt sie zusammen mit vorgerichtlichen Anwaltskosten von 2.396,71 EUR von der Beklagten zurück.

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, die Beklagte habe besondere Aufsichtspflichten über F. C. gehabt. Durch den "Badarrest" sei dessen Gefahrenpotential noch weiter gesteigert worden. Wegen des Verzichts auf medikamentöse Behandlung hätte er sorgfältiger beobachtet werden müssen. Nach seinem Verschwinden hätte unmittelbar die Polizei und das ... unterrichtet werden müssen. Außerdem sei F. C. wegen des Verzichts auf eine Medikamentengabe, der fehlenden Bindung an eine feste Bezugsperson, die Erteilung von "Badarrest" und mangels Behandlungsplan insgesamt falsch behandelt worden.

Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 546.908,87 DM (= 279.619,68 EUR) nebst Zinsen i.H.v. 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 13.7.2001 zu zahlen; an die Klägerin weitere 2.395,71 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 18.2.2003 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat die Ansicht vertreten, ein Anspruch aufgrund einer Aufsichtspflichtverletzung scheitere bereits daran, dass das ... zur Tatzeit selbst noch gegenüber F. C. aufsichtspflichtig gewesen sei. Die durchgeführte Beaufsichtigung und Überwachung durch das Stationspersonal des Beklagten im Rahmen der stationsüblichen Maßnahmen sei im Übrigen ausreichend gewesen. Eine stärkere Beaufsichtigung sei nicht angezeigt gewesen, weil dies der Behandlung der Krisenintervention entgegengestanden hätte und auch keine Anhaltspunkte ersichtlich gewesen seien, die auf ein Zündeln hingedeutet hätten. Schließlich falle dem ... wegen der dortigen Kenntnis um das Verschwinden und wegen mangelnder Sicherungsmaßnahmen des später abgebrannten Gebäudes ein Mitverschulden an dem Geschehen zur Last.

Das LG hat das LG die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen und wendet sich vornehmlich gegen die Rechtsanwendung des LG. Aufgrund aller vor der Brandlegung bekannten Umstände (vgl. im Einzelnen: GA 767 f. und GA 781 f.) hätte F. C. "auf Schritt und Tritt" überwacht werden müssen. Der Aufenthalt bei der Beklagten sei als Zwischenstation bis zum Beginn einer einzelpädagogischen Maßnahme angedacht gewesen.F. C. habe daher gesichert zum Schutz Dritter verwahrt werden müssen.

Die Berufung der Klägerin hatte im Wesentlichen Erfolg.

 

Entscheidungsgründe

1. Aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des LG, an deren Richtigkeit und Volls...

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