Leitsatz (amtlich)

1. Verspätete Rügen, die die - hier: sachliche - Zuständigkeit des angerufenen Gerichts betreffen, fallen auf Grund der besonderen Regelungen der §§ 39, 504 ZPO nicht unter die Präklusion des § 296 Abs. 3 ZPO (im Anschluss an Senat, Beschluss vom 6. Januar 2005 - 5 W 306/'eba.myers@t-online.de'95, NJW 2005, 906).

2. Eine möglicherweise verspätete Erhebung der Rüge ist jedenfalls nach § 296 Abs. 3 ZPO entschuldigt, wenn das angerufene Landgericht bereits mit Klagezustellung auf Bedenken gegen seine sachliche Zuständigkeit hingewiesen hatte, der Kläger es jedoch ablehnt, einen Antrag auf Verweisung an das zuständige Amtsgericht zu stellen und der Beklagte daraufhin "klarstellt", sich im bevorstehenden Termin nicht rügelos einlassen zu wollen.

3. Eine Wertaddition mehrerer (formal) unterschiedlicher Klagebegehren - hier: auf Unterlassen vermeintlich ehrverletzender Behauptungen - setzt nach allgemeinen Grundsätzen voraus, dass die mehreren Ansprüche von selbständigem Wert sind.

 

Normenkette

GKG § 48 Abs. 2; GVG § 23 Nr. 1, § 71 Abs. 1; ZPO § 296 Abs. 3

 

Verfahrensgang

LG Saarbrücken (Urteil vom 07.01.2022; Aktenzeichen 1 O 282/21)

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das am 7. Januar 2022 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken - 1 O 282/21 - wird zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass der Senat das Landgericht Saarbrücken für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit auf den im Berufungsverfahren hilfsweise gestellten Antrag der Klägerin unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das sachlich zuständige Amtsgericht in Neunkirchen verweist.

II. Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen der Klägerin zur Last.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 3.000,- Euro festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Parteien sind Mitglieder der koptischen Pauluskirchengemeinde in N., in der auch der Ehemann der Klägerin sowie dessen Bruder aktiv sind; der Ehemann der Klägerin war Kirchenratsvorsitzender und als solcher zuständig für die Kassenführung. Im Jahre 2020 wurde ein neuer Priester berufen, der später vom Bischof wieder abberufen wurde, nachdem es innerhalb der Gemeinde zu Streitigkeiten über finanzielle Fragen gekommen war; dieser Streit führte zu mehreren gerichtlichen Verfahren. Am 14. Mai 2020 richtete die Beklagte auf Arabisch eine WhatsApp-Nachricht an den Ehemann der Klägerin, in deren deutscher Übersetzung (Bl. 10 f. GA) es u.a. heißt: "Ich persönlich war leider schwer enttäuscht von Dir und M., v.a. nachdem ich von M. erfahren habe, dass Ihr beim Priester gelauscht, ihn gestört und seinen Ruf mit allen möglichen Mitteln geschädigt habt." Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Nachricht verwiesen.

Die Klägerin hat am 23. Juli 2021 Klage zum Landgericht Saarbrücken eingereicht, mit der sie die Beklagte auf Unterlassung einzelner, im Zusammenhang mit den geschilderten Vorgängen stehender Behauptungen in Anspruch genommen hat; in der Klageschrift hat sie den Streitwert vorläufig mit 6.000,- Euro angegeben. Ihr im weiteren Verlauf wiederholt präzisiertes (Bl. 43, 74 f. GA) Unterlassungsbegehren hat sie damit begründet, dass es sich bei den beanstandeten Äußerungen um unwahre, ehrenrührige Tatsachenbehauptungen handele, die die Beklagte in der Kirchengemeinde verbreite. Die Klägerin, die mit dem Streit zwischen Bischof und Ehemann nichts zu tun habe, werde dadurch stark psychisch belastet, sie könne kaum noch am Gemeindeleben teilnehmen und habe sich schon mit dem Gedanken getragen, ihr Friseurgeschäft in N. aufzugeben und wegzuziehen.

Das Landgericht hat mit Klagezustellung darauf hingewiesen, dass erhebliche Zweifel an der sachlichen Zuständigkeit bestünden, und wiederholt angefragt, ob eine Verweisung an das Amtsgericht beantragt werde (Bl. 21, 33 GA). Nach Ausbleiben eines entsprechenden Antrages hat es mit der Bestimmung des Haupttermins erneut darauf hingewiesen, dass die Klage aller Voraussicht nach mangels sachlicher Zuständigkeit des Landgerichts als unzulässig abzuweisen sein werde (Bl. 45 GA). Weil die Klägerin daraufhin beanstandete, dass es aus ihrer Sicht an einem ausreichend konkreten Hinweis auf eine sachliche Unzuständigkeit des Landgerichts fehle und nur für den Fall weiterer Erläuterungen hilfsweise auf Verweisung antrug, äußerte das Landgericht mit Verfügung vom 20. Oktober 2021, dass sich der Streitwert aus den Gründen eines in einer Parallelsache ergangenen Verweisungsbeschlusses vom 30. August 2021 - 1 O 299/21 - auf unter 5.000,- Euro belaufe, vor rügeloser Einlassung die Unzulässigkeit auch ohne schriftsätzliche Rüge der Beklagtenseite gegeben sei und es auch unzulässig erscheine, den hilfsweise gestellten Antrag auf Verweisung unter die Bedingung weiterer substantiierter Hinweise des Gerichts zu stellen (Bl. 62 GA). Nachdem die Klägerin daraufhin an ihrer Rechtsauffassung ausdrücklich festhielt, ließ die Beklagte mit Schriftsatz vom 28. Oktober 2021 klarstellend m...

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