Leitsatz (amtlich)

1. Das Verbot, an unübersichtlicher Stelle zu überholen (§ 5 Abs. 2 Satz 1 StVO), dient nicht nur dem Schutz des Gegenverkehrs, sondern auch des zu überholenden Verkehrsteilnehmers, der ebenfalls durch ein gegen § 5 Abs. 2 Satz 1 StVO verstoßendes Überholen gefährdet werden kann.

2. Zur Haftungsabwägung bei einem (berührungslosen) Verkehrsunfall zwischen einem im Pulk fahrenden Radfahrer und einem Pkw, der die Radfahrergruppe an unübersichtlicher Stelle überholt.

 

Normenkette

StVG § 7 Abs. 1, §§ 9, 11 S. 2; StVO § 2 Abs. 4 S. 1, § 4 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

LG Saarbrücken (Urteil vom 28.09.2021; Aktenzeichen 4 O 265/20)

 

Tenor

I. Auf die Erstberufung des Klägers und die Zweitberufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 28.09.2021, Az. 4 O 265/20, unter Zurückweisung der weitergehenden Rechtsmittel teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 2.800 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.09.2020 zu zahlen. Der Beklagte zu 1 wird darüber hinaus verurteilt, an den Kläger Zinsen aus 2.800 EUR in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz für die Zeit vom 26.08.2020 bis zum 02.09.2020 zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger unter Anrechnung eines eigenen Mitverursachungsanteils von einem Drittel sämtliche materiellen Schäden und sämtliche zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden zu ersetzen, die auf den Verkehrsunfall vom 31.08.2019 in Nonnweiler-Primstal zurückzuführen sind, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.

3. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten der Dr. G. Rechtsanwälte, in Höhe von 492,54 EUR freizustellen.

II. Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens tragen der Kläger zu 50,5 % und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 49,5 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 14 % und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 86 %.

III. Dieses Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Der Kläger begehrt von den Beklagten die Zahlung eines Schmerzensgeldes und die Feststellung der umfänglichen Einstandspflicht für die ihm entstandenen und noch entstehenden Schäden aus einem Verkehrsunfall, der sich am 31.08.2019 in Nonnweiler-Primstal ereignete. Der Kläger befuhr mit seinem Rennrad in einer Gruppe von insgesamt 5 Radfahrern die Hauptstraße in Richtung Wadern. Die Teilnehmer der Gruppe fuhren zum Unfallzeitpunkt mit einer Geschwindigkeit von etwa 30 km/h und untereinander dicht auf; der Kläger war der vorletzte Fahrer des Pulks. Dahinter fuhr der Beklagte zu 1 in gleicher Fahrtrichtung mit dem bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten Fahrzeug VW Golf, amtliches Kennzeichen MZG, an dem ein Anhänger angebracht war. Der Beklagte zu 1 versuchte, die Radfahrerkolonne zu überholen. Wegen eines entgegenkommenden Fahrzeugs, welches einen Pferdeanhänger zog, brach er den Überholvorgang jedoch wieder ab. Hierbei kamen der Kläger sowie zwei weitere seiner Mitfahrer - der vor ihm fahrende Zeuge F. und der hinter ihm fahrende Zeuge R. - zu Fall.

Der Kläger zog sich bei dem Sturz eine Schultereckgelenkssprengung Typ Rockwood IV an der rechten Schulter, eine Beckenprellung rechts sowie Schürfwunden am linken Unterschenkel zu. Er wurde am 03.09.2019 an der Schulter operiert und vom 03.09.2019 bis 05.09.2019 stationär behandelt Die Schulter wurde im Anschluss mit einem Schulterabduktionskissen versorgt, das der Kläger für 6 Wochen tragen musste. Er war für eine Dauer von 3 Wochen arbeitsunfähig und durfte vom 31.08.2019 bis 31.10.2019 kein Kfz führen. Für einen Zeitraum von 4 Wochen litt er unter erheblichen Schmerzen und infolge der Abduktionsschiene unter körperlichen Einschränkungen.

Die mit Anwaltsschreiben vom 24.02.2020 zur Anerkennung ihrer Haftung dem Grunde nach aufgeforderte Beklagte zu 2 wies die geltend gemachten Ansprüche als unbegründet zurück.

Der Kläger hat zum Unfallhergang behauptet, die Radfahrer seien mit einer Geschwindigkeit von etwa 35 km/h (Bl. 44 d.A.) bzw. 30 km/h (Bl. 46 d.A.) gefahren. Als sich der Beklagte zu 1 mit seinem Gespann schon etwa auf der Höhe des die Kolonne anführenden Zeugen Ra. befunden habe, habe er wegen des entgegenkommenden Fahrzeugs abgebremst und sei nach rechts in Richtung der Radfahrer gezogen. Der Zeuge F. habe daraufhin in dem Versuch, eine Kollision mit dem Beklagtenfahrzeug zu vermeiden, gebremst und sei nach rechts ausgewichen. Hierdurch seien der ihm folgende Kläger und der zuletzt fahrende Zeuge R. nach rechts abgedrängt worden, wobei der Kläger eine Kollision mit dem Fahrrad des Zeugen F. und der Zeuge R. eine Kollision mit dem Fahrrad des Klä...

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