Leitsatz (amtlich)

1. Wird ein Polizeihund während eines Einsatzes gegenüber einer randalierenden Personengruppe zulässigerweise ohne Maulkorb geführt, so muss der den Hund führende Beamte ihn so weit beherrschen, dass der Hund nicht willkürlich zubeißen kann. Das Land trägt bezüglich des in Betracht kommenden Verschuldens (Fahrlässigkeit) des Hundeführers die Darlegungs- und Beweislast.

2. Bewegt sich eine Person unter Missachtung eines polizeilichen Platzverweises in einer komplexen, unübersichtlichen und dynamischen Situation selbsttätig auf den Hundeführer und den Hund zu, gerät sie dadurch in den Bissbereich des Hundes und wird sie deshalb gebissen, so sprechen erhebliche Gründe dafür, dass die Einhaltung der erforderlichen Sorgfalt durch den Hundeführer bewiesen ist.

3. Selbst wenn dies anders zu beurteilen ist, tritt jedenfalls eine eventuelle Haftung des Landes auf Grund fahrlässigen Verhaltens seines Beamten gemäß § 254 Abs. 1 BGB vollständig hinter dem Mitverschulden des Geschädigten zurück, denn dieser hat sich bewusst und aus freien Stücken in den Einwirkungsbereich des Hundes begeben und es ist erst hierdurch zu seiner Verletzung gekommen.

4. Der Geschädigte hat in einem solchen Fall gegen das Land im Hinblick auf § 68 Abs. 5 Satz 2 SPolG auch keinen Anspruch aus § 68 Abs. 1 Satz 1 und 2 SPolG.

5. Mangels Vorliegens eines Sonderopfers hat er ferner keinen Anspruch aus Aufopferungsgesichtspunkten.

 

Normenkette

BGB §§ 249, 253, 254 Abs. 1, § 833 Sätze 1-2, § 839 Abs. 1; GG Art. 34; PolG SL § 8; PolG SL § 68 Abs. 1 S. 1; PolG SL § 68 Abs. 1 S. 2; PolG SL § 69 Abs. 5 S. 2

 

Verfahrensgang

LG Saarbrücken (Entscheidung vom 21.06.2022; Aktenzeichen 4 O 440/21)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das am 21.06.2022 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken (4 O 440/21) wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Dieses Urteil und das am 21.06.2022 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken (4 O 440/21) sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Von der Darstellung des Sachverhalts wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1, 543 Abs. 1 Nr. 1, 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO abgesehen.

II. Der Kläger hat vom beklagten ... Zahlung eines Schmerzensgelds in Höhe von mindestens 5.000 EUR verlangt wegen im Rahmen eines Polizeieinsatzes in der Nacht vom 05.10. auf den 06.10.2019 erlittener Verletzungen durch einen Polizeihundebiss. Das Landgericht Saarbrücken hat die Klage unter dem Gesichtspunkt eines anspruchsausschließenden Mitverschuldens abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers ist unbegründet.

1. Der Kläger hat gegen das beklagte Land keinen Anspruch aus § 833 Satz 1 BGB.

§ 833 Satz 1 BGB wird durch § 839 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 34 GG als Spezialvorschrift verdrängt.

Zwar ist das beklagte Land Tierhalter des von ihm zu dienstlichen Zwecken eingesetzten Polizeihundes (vgl. Brandenburgisches OLG, Urt. v. 13.10.2008 - 1 U 2/08, MDR 2009, 633, juris Rdn. 6). Jedoch richtet sich die Ersatzpflicht des Staates und sonstiger juristischer Personen dann nicht nach § 833 Satz 1 BGB, wenn die Voraussetzungen der Spezialbestimmung der § 839 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 34 GG gegeben sind, weil der Hund bei dem schadensstiftenden Ereignis im Rahmen einer hoheitlichen Tätigkeit eingesetzt wird (vgl. BGH, Entsch. v. 26.06.1972 - III ZR 32/70, VersR 1972, 1047 - 1049, juris Rdn. 14 m. w. N.; OLG Düsseldorf, Urt. v. 21.07.1994 - 18 U 25/94, NJW-RR 1995, 661, juris Rdn. 2; OLG Hamm, Urt. v. 21.03.1997 - 11 U 179/96, VersR 1998, 495 - 497, juris Rdn. 46; Dörr in: beckOK(BGB), Stand: 01.12.2022, § 839 BGB, Rdn. 31.1 m. w. N.).

Im Streitfall ist das Landgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die für das beklagte Land tätigen Polizeibeamten in amtlicher Eigenschaft im Rahmen einer hoheitlichen Tätigkeit tätig wurden und im Rahmen dessen den Diensthund einsetzten. Denn die Beamten handelten gemäß § 8 Abs. 1 SPolG, um eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren. Diese Gefahr ergab sich - unstreitig - daraus, dass sich in der Futterstraße eine größere Personengruppe um einen Herrn E. M. als Hauptstörer gewalttätig verhielt, wobei dieser mit einer Glasflasche hantierte, sich vor Polizeibeamten aufbaute und ein Feuerzeug mit großer Wucht vor den Beamten in der Absicht zu Boden warf, dieses zur Explosion zu bringen. Zur Gefahrenabwehr erteilten die Beamten Platzverweise und setzten im Zusammenhang mit der Durchsetzung ihrer Anordnungen Polizeihunde ein. Der während dieses Vorgehens erfolgte Biss stand somit in einem inneren Zusammenhang mit der hoheitlichen Maßnahme der Polizeibeamten (vgl. Brodöfel in: Geigel, Der Haftpflichtprozess, 28. Auflage, Kap. 20, Rdn. 30 m. w. N.).

2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch aus Amtshaftung gemäß § 839 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 34 GG i. V. m. § 249 BGB und § 253 BGB.

a) Nach Ansicht des Senats spricht - insoweit entgegen der Einschätzung des Landgerichts - Vieles dafür, dass ...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge