Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorrang der Ausbildung vor früher Eheschließung

 

Leitsatz (amtlich)

Eheschließung einer 16-Jährigen: keine Befreiung vom Erfordernis der Volljährigkeit bei fehlender persönlicher Reife, die Tragweite des Heiratsentschlusses zu erfassen.

 

Normenkette

BGB § 1303 Abs. 2

 

Verfahrensgang

AG Saarbrücken (Beschluss vom 09.11.2006; Aktenzeichen 39 F 300/06 SO)

 

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des AG - FamG - in Saarbrücken vom 9.11.2006 - 39 F 300/06 SO - wird zurückgewiesen.

Beschwerdewert: 3.000 EUR.

 

Gründe

I. Die derzeit sechzehn Jahre alte Antragstellerin ist aus der Ehe der Beteiligten zu 1) hervorgegangen. Die Antragstellerin besucht die zehnte Klasse der Erweiterten Realschule in und wohnt im Haushalt der Eltern. Die Antragstellerin ist in der Bundesrepublik Deutschland geboren und aufgewachsen. Sie besitzt die deutsche und die türkische Staatsangehörigkeit. Die Beteiligten zu 1) sind türkische Staatsangehörige.

Die Antragstellerin hat am 20.6.2006 bei der Rechtsantragsstelle des AG - FamG - in Saarbrücken auf Befreiung vom Erfordernis der Volljährigkeit angetragen. Sie beabsichtigt, den am 2.7.1985 geborenen, derzeit einundzwanzig Jahre alten türkischen Staatsangehörigen S. K. zu heiraten, mit dem sie seit 2004 verlobt ist. Dieser ist in der Türkei geboren und aufgewachsen. Er ist im September 2006 mit einem Studentenvisum in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und hält sich seitdem hier auf. Er strebt einen Abschluss in Informatik an der Universität des Saarlandes an, wo er seit März 2007 einen verpflichtenden Deutschkurs absolviert.

Die Eltern haben erstinstanzlich die geplante Eheschließung befürwortet. Das beteiligte Jugendamt hat sich gegen eine Befreiung ausgesprochen.

Durch den angefochtenen Beschluss, auf den ergänzend Bezug genommen wird, hat das FamG den Antrag - nach Anhörung der Antragstellerin, ihrer Eltern und des Verlobten - zurückgewiesen.

Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde, mit der sie ihr erstinstanzliches Begehren weiter verfolgt.

Die Eltern haben sich zweitinstanzlich "mit der Beschwerde einverstanden" erklärt.

Das Jugendamt hat sich auch im Beschwerdeverfahren gegen die Erteilung der Befreiung ausgesprochen.

Der Senat hat die Antragstellerin, deren Eltern und den Verlobten in der mündlichen Verhandlung persönlich angehört.

II. Die gem. §§ 621e Abs. 1 und 3, 621 Abs. 1 Nr. 12, 517, 520 ZPO zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist nicht begründet.

Seine internationale Zuständigkeit hat das FamG im Streitfall zu Recht und von den Parteien unangegriffen bejaht (dazu Staudinger/Strätz, BGB, 13. Bearb. [2000], § 1303, Rz. 46).

Die Voraussetzungen der Eheschließung unterliegen gem. Art. 13 Abs. 1 EGBGB für jeden Verlobten dem Recht des Staates, dem er angehört (vgl. auch Staudinger/Strätz, a.a.O., Rz. 44). Das ist für die Antragstellerin das deutsche Recht, da sie auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EGBGB).

Nach § 1303 Abs. 2 BGB kann das FamG auf Antrag von der Vorschrift des § 1303 Abs. 1 BGB - danach soll eine Ehe nicht vor Eintritt der Volljährigkeit eingegangen werden - Befreiung erteilen, wenn der Antragsteller das sechzehnte Lebensjahr vollendet hat und sein künftiger Ehegatte volljährig ist. Zwar sind im Streitfall diese - formalen - Voraussetzungen erfüllt. Auch war die minderjährige Antragstellerin für die Befreiung selbst antragsberechtigt (Hoppenz/Burandt, Familiensachen, 8. Aufl., A. I., § 1303, Rz. 3; Staudinger/Strätz, a.a.O., Rz. 33). Das FamG hat die begehrte Befreiung jedoch zu Recht versagt, weil die beabsichtigte Ehe unter den gegebenen Umständen dem wohlverstandenen Interesse der minderjährigen Antragstellerin widerspricht.

Die Befreiung, auf deren Erteilung bei Vorliegen der Voraussetzungen wegen Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 GG ein Rechtsanspruch besteht, ist zu versagen, wenn eine Gesamtbewertung aller für und gegen die Eheschließung sprechenden Umstände (Staudinger/Strätz, a.a.O., Rz. 19) ergibt, dass das Wohl der Antragstellerin voraussichtlich beeinträchtigt sein wird (vgl. zum Ganzen auch: MünchKomm/BGB/Müller-Gindullis, 4. Aufl., § 1303, Rz. 6 ff.; Hoppenz/Burandt, a.a.O., Rz. 4). So liegt der Fall hier, wie das FamG nach den gesamten Umständen zu Recht angenommen hat. Maßgebendes Kriterium für die zu treffende Entscheidung ist - als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal (Staudinger/Strätz, a.a.O., Rz. 14) - der Schutz des Wohls der minderjährigen Antragstellerin. Dabei ist zu prüfen, ob eine echte wechselseitige Bindung zwischen den Partnern besteht, sie die mit der Ehe verbundenen Pflichten übernehmen können und wollen und die notwendigen wirtschaftlichen Grundlagen für die Ehe gegeben sind; der Heiratswunsch muss dem eigenen inneren Antrieb der Verlobten entspringen und darf nicht nur auf dem Einfluss der Umwelt oder wirtschaftlichen Überlegungen beruhen (MünchKomm/BGB/Müller-Gindullis, a.a.O.). Der Senat teilt - auch im Lichte des Ergebnisses der in der Besc...

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