Sachverhalt

Bei dem Verfahren ging es um die Auslegung von der Art. 5 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie (ab 1.1.2007: Art. 14 bzw. Art. 24 Abs. 1 MwStSystRL). Streitig war, ob die Tätigkeit der Reprografie eine Lieferung oder eine Dienstleistung darstellt.

Die Reprografietätigkeit der Klägerin besteht darin, mit eigenen Mitteln Kopien von Dokumenten, Akten und Plänen im Auftrag der Kundschaft (u. a. Architekturbüros, Planungsbüros, Museen, Verlage, Unternehmen der Stadtreklame und Ministerien) anzufertigen. Die Kunden bleiben Eigentümer der Originaldokumente, deren Vervielfältigung sie in Auftrag geben. Die Zahl der anzufertigenden Kopien reicht von einem Exemplar bis zu mehreren hundert Stück.

Die Klägerin behandelte ihre Leistungen als Dienstleistungen und erklärte ihre Umsätze daher nach dem Ist-Prinzip im Zeitpunkt der Vereinnahmung des Entgelts. Die französische Steuerverwaltung behandelte die Umsätze jedoch als Lieferungen und setzt eine Mehrwertsteuernachzahlung nach dem Sollprinzip nebst Verzugszinsen fest.

Der EuGH hat nicht abschließend entschieden, ob die Tätigkeit der Klägerin in Lieferungen oder Dienstleistungen besteht, sondern die Entscheidung darüber dem vorlegenden Gericht überlassen. Er gibt dem Gericht jedoch Entscheidungskriterien an die Hand, die auf seiner ständigen Rechtsprechung beruhen.

Zunächst ist bei einem Umsatz, der wie im Ausgangsfall verschiedene Einzelleistungen umfasst, eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen, um zu entscheiden, ob zwei oder mehr getrennte Leistungen vorliegen oder eine einheitliche Leistung und ob eine einheitliche Leistung als Lieferung oder als Dienstleistung einzustufen ist (vgl. EuGH, Urteil v. 27.10.2005, C-41/04 (Levob Verzekeringen BV, OV Bank NV) und EuGH, Urteil v. 29.3.2007, C-111/05 (Aktiebolaget NN). Dabei ist der Grundsatz zu beachten, dass jede Leistung in der Regel als eigenständige Leistung zu betrachten ist, andererseits aber eine wirtschaftlich einheitliche Leistung nicht künstlich aufgespaltet werden darf. Bei der Frage nach Haupt- und Nebenleistung ist immer auf die Sichtweise eines Durchschnittsverbrauchers abzustellen.

 

Entscheidung

Für den vorliegenden Fall hat der EuGH entschieden, dass der Zweck der Tätigkeit des Reprografen an sich darin besteht, seinen Kunden Kopien des Originals zur Verfügung zu stellen, das dieser ihm zuvor überlassen hat, während die der Aushändigung dieser Kopien vorausgehenden Tätigkeiten der Zusammenstellung und des Ordnens für den Reprografen nur ein Mittel darstellen, seinem Kunden die Leistung unter bestmöglichen Bedingungen zu erbringen. Diese Tätigkeit begründe somit eine einheitliche Leistung.

Die Leistung trägt nach den weiteren Entscheidungsgründen sowohl Merkmale einer Lieferung als auch einer Dienstleistung. Für eine Lieferung spricht, dass die Aushändigung der Kopien durch den Reprografen den Kunden befähigt, i.S.v. Art. 14 Abs. 1 MwStSystRL wie ein Eigentümer über sie zu verfügen. Diese Übertragung betrifft die Papierblätter, auf denen die Vervielfältigung durchgeführt worden ist, und über die der Reprograf vor ihrer Aushändigung an den Kunden verfügt. Da dem Kunden zu keiner Zeit sein Recht entzogen worden ist, über den immateriellen Inhalt der Kopien zu verfügen, der sich aus dem von ihm überlassenen Original ergibt, betrifft der mit dem Reprografen abgeschlossene Vertrag nur die Träger, die die Aushändigung der Kopien erlauben. Daher bestimmt sich der Preis, den der Reprograf für die angefertigten Kopien in Rechnung stellt, nicht nach dem geistigen Wert, der mit dem Original verbunden ist, sondern nach den technischen Eigenschaften der anzufertigenden Kopien sowie der Zahl der bestellten Exemplare.

Für das Vorliegen einer Dienstleistung spricht, dass sämtliche Umstände berücksichtigt werden müssen, unter denen die Reprografietätigkeit ausgeübt wird. Die Tätigkeit beschränkt sich nicht auf den bloßen Abzug von einem Original, sondern es kommen verschiedene ergänzende Dienstleistungen hinzu, wie die Beratung, die Anpassung, Umgestaltung und Verfremdung des Originals nach den Wünschen des Kunden zum Zweck der Erstellung von Kopien.

Somit ist es nach der EuGH-Entscheidung Sache des vorlegenden Gerichts, abschließend zu entscheiden. Dieses muss nach Maßgabe der Bedeutung, die die Reprografieleistungen für den Kunden besitzen, des Umfangs der Behandlung des vom Kunden überlassenen Originaldokuments, der Zeit, die für die diese Leistungen benötigt wird, und des Anteils an den Gesamtkosten, der auf sie entfällt, prüfen, ob diese (Dienst-)Leistungen als Tätigkeiten betrachtet werden können, die keineswegs gering oder nebensächlich sind und die im Vergleich zur Lieferung der Kopien überwiegen, so dass sie über die bloße Vervielfältigung hinaus für den Leistungsempfänger einen eigenen Zweck darstellen.

 

Hinweis

Die Bundesregierung hatte sich an dem Verfahren nicht beteiligt. Die Entscheidung des EuGH, die ohne Schlussanträge ergangen ist, scheint die Regelung des Abschn. 25 Abs. 2 Nr. 10 UStR in Frage zu ste...

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