Leitsatz

  1. In der Teilungserklärung vereinbarte Qualifizierung einer jeglichen Beschlussfassung (3/4-Mehrheit aller Eigentümerstimmen als Voraussetzung eines jeden Beschlusses)
  2. Verneinter Klageantrag auf ersatzlose Streichung dieser Vereinbarung in langjährig zerstrittener Gemeinschaft, in der stets entsprechende Beschlussfassungen von 2 "gleichgewichtigen" Eigentümergruppen wechselseitig verhindert werden
 

Normenkette

§§ 10 Abs. 2 Satz 3, 21 Abs. 8 WEG

 

Kommentar

  1. In der Gemeinschaftsordnung einer Anlage mit etwa 10 Einheiten war vereinbart, dass sämtliche Beschlussfassungen stets einer qualifizierten Mehrheit von ¾ der Stimmen aller Eigentümer bedürften. In dieser Gemeinschaft bildeten sich in den letzten Jahren durch jeweilige Wohnungsübertragungen vorwiegend im Verwandtschaftsbereich 2 Eigentümergruppen heraus, die sich etwa stimmengleichgewichtig bei vielen Beschlüssen (auch notwendigen Regularbeschlüssen) vor Gericht treffen mussten, da entsprechende Beschlussqualifizierungen nicht erreicht, d.h. stets wechselseitig boykottiert wurden. Um diesen Missständen ein Ende zu bereiten, versuchte nun ein Eigentümer mit Streitgenossen, ständig in Gegnerschaft zu ihm stehende Miteigentümer auf Zustimmung zur Änderung der Vereinbarung in der Gemeinschaftsordnung gemäß § 10 Abs. 2 Satz 3 WEG, d.h. Verpflichtung auf ersatzlose Streichung dieser – sicher unüblichen – Vereinbarungspassage zu verklagen, hilfsweise wenigstens hinsichtlich der für eine ordnungsgemäße Verwaltung notwendigen Regularbeschlüsse, wie etwa Genehmigung eines Wirtschaftsplans, einer Abrechnung, einer Sonderumlage usw.

    In beiden Instanzen wurde die Klage abgewiesen.

  2. Das Landgericht (Berufungsgericht) hat zunächst die Zielrichtung der neuen Bestimmung des § 10 Abs. 2 Satz 3 WEG und Erleichterungen hinsichtlich solcher Vereinbarungsänderungsansprüche gegenüber früherer Rechtslage herausgestellt. Abzustellen ist nunmehr entgegen früher betonter "außergewöhnlicher Umstände" nur noch auf "schwerwiegende Gründe"; auch ist nicht mehr von "grober Unbilligkeit", vielmehr lediglich von einer "Unbilligkeit" auszugehen. Wenn auch in der Gesetzesbegründung im Wesentlichen auf Änderungen eines vereinbarten Kostenverteilungsschlüssels abgestellt wird, ist der Anwendungsbereich hierauf nicht beschränkt; Ziel solcher Individualansprüche kann damit auch – wie vorliegend – die Aufhebung einer Vereinbarung sein (Klein in Bärmann-Ktr., 12. Aufl., § 10 Rn. 153). Dennoch ist auch insoweit ein strenger Maßstab für eine Schwellensenkung der Änderungsvoraussetzungen anzulegen, da grundsätzlich jeder Eigentümer darauf vertrauen darf, dass Vereinbarungen nicht später ohne seine Zustimmung geändert werden dürfen (h.M.). Aus diesem Grund kann auch Änderung eines vereinbarten Stimmrechts in der Regel nicht gefordert werden. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn sich die beanstandete Regelung bereits von Anfang an oder später aufgrund einer nicht vorhersehbaren Änderung der der Teilungserklärung zugrunde liegenden rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnisse als deutlich verfehlt oder unzweckmäßig erwiesen haben sollte. Dabei ist eine Würdigung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls maßgebend, und zwar unter Berücksichtigung der Rechte und Interessen der anderen Eigentümer; vorliegend konnte eine solche Ausnahme nicht festgestellt werden, selbst wenn die vereinbarte Regelung als eher ungewöhnlich und wohl auch unpraktisch aufzufassen sei. Dem Gesetzesvorschlag grundsätzlich ermöglichter und gebotener Mehrheitsentscheidungen kann nicht zwingender Leitbildcharakter beigemessen werden, damit auch nicht eine entsprechende Begrenzung der Dispositivität. Die Vereinbarung qualifizierter Mehrheitserfordernisse kann demgemäß durchaus statuiert werden, soweit nicht nach Gesetz zwingend das einfache Mehrheitsprinzip ausdrücklich geboten ist (wie etwa in den §§ 12 Abs. 4, 16 Abs. 3 und 4, 22 Abs. 2 Satz 1 und 26 Abs. 1 WEG). Nur in diesen Fällen ist von Teilnichtigkeit der hier getroffenen Vereinbarung auszugehen. Hinsichtlich der vereinbarten Qualifizierung aller anderen Beschlüsse war offensichtlich von Anfang an Kompromissbereitschaft gewollt; von einer verfehlten Vereinbarungsregelung kann insoweit nicht ausgegangen werden (vgl. OLG Hamm, ZMR 2009 S. 219 zum – noch strengeren – Einstimmigkeitserfordernis); entscheidend ist auf den Vertrauensgrundsatz der Eigentümer abzustellen; einmal Vereinbartes soll grundsätzlich auch weiter gelten, Eigentümer binden und nicht ständig unter dem Vorbehalt einer nachträglichen Änderung unter Billigkeitsgesichtspunkten stehen. Auch völlige Zerstrittenheit einer Gemeinschaft kann eine solche Vereinbarungspassage nicht aushebeln, zumal selbst bei ersatzloser Streichung dieser Vereinbarung in gleicher Weise Gerichtsverfahren entstehen könnten (wie auch vom Amtsgericht zu Recht bemerkt).
  3. Sollte etwa ein notwendiger Wirtschaftsplan mangels Qualifizierung nicht verabschiedet werden können, kann letztlich auch das Gericht ersatzweise gemäß § 21 Ab...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge