Das Wichtigste in Kürze:

1. Die Regelung über eine reduzierte Besetzung der großen Strafkammern/Jugendkammern ist in § 76 GVG enthalten.
2. Die Fragen können auch bereits im Ermittlungsverfahren eine Rolle spielen.
3. Nach den §§ 76 Abs. 2 – 5 GVG, 33b Abs. 2 – 6 JGG gilt grds. die Zweierbesetzung.
4. Nach Abs. 2 S. 3 Ziff. 1 der Vorschriften §§ 76 GVG, 33b JGG ist die Dreier-Besetzung zwingend, wenn die Straf-/Jugendkammer als Schwurgericht zuständig ist.
5. Nach Abs. 2 S. 3 Ziff. 2 der Vorschriften §§ 76 GVG, 33b JGG ist die Dreier-Besetzung ebenfalls zwingend, wenn freiheitsentziehende Maßregeln der Sicherungsverwahrung, deren Vorbehalt oder die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu erwarten sind.
6. Nach Abs. 2 S. 3 Ziff. 3 der Vorschriften der §§ 76 GVG, 33b JGG ist die Dreier-Besetzung der Straf-/Jugendkammer zwingend, wenn nach dem Umfang oder der Schwierigkeit der Sache die Mitwirkung eines dritten Richters notwendig erscheint. §§ 76 Abs. 3 GVG, 33b Abs. 3 JGG enthält Regelfälle.
7. Für die Praxis des Verteidigers von besonderer Bedeutung sind die Fragen der Nachholbarkeit der Besetzungsentscheidung, wenn eine Entscheidung fehlt, die mit ihrer Anfechtung und die einer ggf. zulässigen nachträglichen Abänderung.
 

Rdn 3983

 

Literaturhinweise:

Deutscher, Die Zweier-Besetzung in der Hauptverhandlung als dauerhafter Regelfall – Zur Neuregelung der §§ 76 GVG, 33b JGG, StRR 2012, 10

Haller/Janßen, Die Besetzungsreduktion bei erstinstanzlichen Strafkammern – Anmerkungen zu den Beschlüssen des BGH vom 14.8. und 16.12.2003, NStZ 2004, 469

Meyer-Goßner/Schmitt, Die Chance nutzen: Gerichtsaufbau in Strafsachen, ZRP 2011, 129

Schlothauer, Die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern in der Hauptverhandlung, StV 2012, 749

Theile, Gesetzlicher Richter und Wirtschaftsstrafsachen, StV 2019, 763

Weber, Bedeutsamkeit des Umfangs der Sache im Sinne des § 76 Abs. 2 GVG, JR 2004, 172

s.a. die Hinw. bei → Besetzungsfragen, Teil B Rdn 1201.

 

Rdn 3984

1.a) Die Regelung über eine reduzierte Besetzung der großen Strafkammern/Jugendkammern ist in § 76 GVG enthalten. Bis zum 1.3.1993 war in § 76 GVG a.F. für Strafkammern (im Folgenden kurz: StK) für die HV uneingeschränkt die sog. Dreier-Besetzung vorgesehen. Durch das RPflEntlG vom 11.1.1993 war § 76 Abs. 2 a.F. GVG dann, um einem durch die Wiedervereinigung bedingten Personalengpass im Richterbereich entgegenzuwirken, dahin geändert worden, dass die große StK bei Eröffnung des Hauptverfahrens die Besetzung in der HV mit zwei Berufsrichtern einschließlich Vorsitzendem beschließt, wenn nicht die StK als Schwurgericht zuständig war oder nach dem Umfang oder der Schwierigkeit der Sache die Mitwirkung eines dritten Richters notwendig erschien. Eine entsprechende Regelung wurde für die Jugendkammern in § 33b Abs. 2 JGG eingeführt. Diese (zunächst) zeitlich befristete Regelung ist in der Folgezeit immer wieder verlängert worden. In Zusammenhang mit der letzten Verlängerung der durch das RPflEntlG vom 11.1.1993 vorgesehenen Übergangsregelung war im Hinblick auf die Anwendungspraxis der Besetzungsreduktion durch die Praxis eine umfassende Evaluierung angekündigt worden (vgl. BT-Drucks 16/10570, S. 3).

 

Rdn 3985

b) Die gemäß dieser Ankündigung in Auftrag gegebenen Gutachten (vgl. u.a. Gutachten der Großen Strafrechtskommission des DRB: Besetzungsreduktion bei der Großen Strafkammer [§§ 76 Abs. 2 GVG, 33 b Abs. 2 JGG], 2009, S. 91, http://www.bmj.de; nachfolgend: Gutachten) haben dann zu einer gesetzlichen Neuregelung des § 76 Abs. 2 a.F. GVG für das allgemeine Strafverfahren und des § 33b a.F. JGG für das JGG-Verfahren geführt. Durch das "Gesetz über die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern in der HV und zur Änderung weiterer gerichtsverfassungsrechtlicher Vorschriften sowie des BundesdisziplinarG" v. 6.12.2011 sind nämlich diese Vorschriften grundlegend und unbefristet geändert worden. Danach ist die Praxis der StK bei den LG, die schon in der Vergangenheit mit steigender Tendenz die Mehrzahl der Verfahren in Zweier-Besetzung verhandelt hat (zum Zahlenmaterial Haller/Janßen NStZ 2004, 470; dazu auch BGHSt 44, 328), Gesetz geworden. § 76 Abs. 2 GVG sieht nun nämlich die Zweier-Besetzung der StK als Regelfall vor. Die Vorschrift des § 122 GVG, der die Besetzung des erstinstanzlich tätig werdenden OLG-Senats regelt, hat man allerdings nicht geändert.

 

Rdn 3986

2.a) Da die StK grds. im → Eröffnungsbeschluss, Teil E Rdn 2332, über die Besetzung der Kammer in der HV zu entscheiden hat, können die mit der reduzierten Besetzung zusammenhängenden Fragen auch schon im EV eine Rolle spielen. Deshalb sollen die Regelungen in § 76 GVG bzw. § 33b JGG auch hier dargestellt werden (eingehend dazu Deutscher StRR 2012, 10 ff., dessen Darstellung u.a. Grundlage für die nachfolgenden Ausführungen ist; Schlothauer StV 2012. 749 ff.; s. i.Ü. den Gesetzesvorschlag der Großen Strafrechtskommission in: Gutachten, S. 116, sowie die BT-Drucks 17/6905 bzw. 17/7276).

 

Rdn 3987

b) Al...

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