Rn 3

Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist unionsrechtsautonom auszulegen (Dörner ZEV 16, 117). Es kommt auf die persönliche, soziale u familiäre Eingliederung des Erblassers an. Dabei kann man sich auch an der Rspr zu anderen Verordnungen orientieren. Die VO definiert zwar den gewöhnlichen Aufenthalt nicht verbindlich, erläutert ihn aber in Erw 23. Danach ist eine Gesamtbeurteilung der Lebensumstände des Erblassers in den Jahren vor seinem Tod u im Zeitpunkt seines Todes vorzunehmen (dazu Pfeiffer IPRax 16, 310 ff; Emmerich ErbR 16, 122 ff). Wie weit mit einem erbrechtsspezifischen Begriff gearbeitet werden kann (Pfeiffer IPRax 16, 310), ist angesichts drohender Zersplitterung u Rechtsunsicherheit umstr (Remien IPRax 21, 329, 330; abl Grüneberg/Thorn Rz 5).

 

Rn 4

Dabei sind alle relevanten Tatsachen berücksichtigen, insbesondere die Dauer u die Regelmäßigkeit des Aufenthalts sowie die damit zusammenhängenden Umstände u Gründe (näher Mankowski IPRax 15, 39 ff; Kurth ErbR 18, 249 ff; Remien IPRax 21, 329 ff). Eine Mindestaufenthaltsdauer gibt es nicht (Odersky notar 13, 3, 4). Genügend etwa 1 Jahr (München FamRZ 20, 1951, 1953). Ins Gewicht fallen insb die familiären, sozialen und beruflichen Bezüge. Auch die Belegenheit von Vermögen kann einen Hinweis geben. Der gewöhnliche Aufenthalt soll unter Berücksichtigung der spezifischen Ziele der EuErbVO eine besonders enge u feste Bindung zu dem betreffenden Staat erkennen lassen (krit Dörner ZEV 12, 505, 510). Der natürliche (nicht rechtsgeschäftliche) Aufenthaltswille ist zu berücksichtigen (Hamm NJW 18, 2061 m krit Aufs Kurth IPRax 19, 123; Odersky notar 13, 3, 5; Heinemann MDR 15, 928, 930: Erklärung des Erblassers). Allerdings sind die Anforderungen daran und ihr Stellenwert (insb für einen Bleibe- bzw Rückkehrwillen) umstritten (Heiderhoff IPRax 19, 506, 568 f). Ein Rückkehrwille allein genügt nicht (Frankf FamRZ 21, 234, 238; München FamRZ 23, 163 [Pflegebedürftiger]). Eine Bildung bestimmter Fallgruppen ist wg der jeweiligen Einzelfallentscheidungen nur begrenzt möglich.

 

Rn 5

Minderjährige haben einen eigenen, nicht von den Eltern abgeleiteten gewöhnlichen Aufenthalt. Sie können einen natürlichen Aufenthaltswillen haben. Das Aufenthaltsbestimmungsrecht der Eltern darf aber nicht außer Acht gelassen werden. Kleinkinder teilen idR den gewöhnlichen Aufenthalt ihrer Eltern (s Art 5 KSÜ Rn 1). Der natürliche (nicht rechtsgeschäftliche) Aufenthaltswille ist auch für Pflegeheimbewohner und bei Altersdemenz zu beachten (zu Altenheimbewohnern Zimmer/Oppermann ZEV 16, 126 ff; zum Heim Ddorf ZEV 17, 103; zum Pflegeheim München ZEV 17, 333 Anm Rentsch u krit Aufs Weber DNotZ 18, 163 ff [Vertretung möglich]; Sterbehospiz KG FamRZ 21, 244). Eine zeitlich begrenzte Abwesenheit, etwa aus beruflichen Gründen oder zu Studienzwecken, beendet den gewöhnlichen Aufenthalt nicht. Ebenso bei trennungsbedingter Wohnsitznahme in einer Immobilie (Hamm FamRZ 20, 1872). Allerdings kann es bei Verfestigung zu einem Wechsel kommen. Die Erw gehen davon aus, dass es keinen mehrfachen gewöhnlichen Aufenthalt gibt (ebenso (EuGH C 80/19 E.E., ErbR 20, 710 Rz 40 zust Anm Mankowski = ECLI:EU:C:2020:569; Dörner ZEV 12, 505, 510; Grüneberg/Thorn Rz 6). Notfalls kann auf die engere Verbindung ausgewichen werden (II).

 

Rn 6

Arbeitete der Erblasser aus beruflichen oder wirtschaftlichen Gründen – uU auch für längere Zeit – in einem anderen Staat, hatte der Wanderarbeitnehmer aber eine enge u feste Bindung zu seinem Herkunftsstaat (familiärer u sozialer Lebensmittelpunkt) aufrechterhalten, so kann der gewöhnliche Aufenthalt dort weiterhin bestehen (Erw 24). Dies gilt auch für den im Inland arbeitenden, aber im Ausland wohnenden ›Grenzpendler‹ (KG FamRZ 16, 1203 krit Anm Mankowski = IPRax 18, 72 zust Aufs Martiny, 29). Lebte der Erblasser abwechselnd in mehreren Staaten oder reiste er von Land zu Land, ohne sich für längere Zeit niederzulassen, so ist ebenfalls ein einziger gewöhnlicher Aufenthalt zu ermitteln (zu konsekutivem Wechsel Mankowski IPRax 15, 39, 45). Trotz überwiegenden Aufenthalts in Spanien kann deutscher gewöhnlicher Aufenthalt weiter bestehen (Ddorf FGPrax 21, 27). Besondere Faktoren bei der Gesamtbeurteilung sind Staatsangehörigkeit u Vermögensbelegenheit (Erw 24). Ein erzwungener Aufenthalt genügt idR nicht. Es fehlt im Allgemeinen an der sozialen Integration, ferner am natürlichen Bleibewillen (Mankowski IPRax 15, 39, 43). Bei längerer Dauer kann jedoch ein gewöhnlicher Aufenthalt angenommen werden (Heiderhoff IPRax 19, 506, 568 ff).

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