Gesetzestext

 

(1) Wer der Wahrheit zuwider eine Tatsache behauptet oder verbreitet, die geeignet ist, den Kredit eines anderen zu gefährden oder sonstige Nachteile für dessen Erwerb oder Fortkommen herbeizuführen, hat dem anderen den daraus entstehenden Schaden auch dann zu ersetzen, wenn er die Unwahrheit zwar nicht kennt, aber kennen muss.

(2) Durch eine Mitteilung, deren Unwahrheit dem Mitteilenden unbekannt ist, wird dieser nicht zum Schadensersatz verpflichtet, wenn er oder der Empfänger der Mitteilung an ihr ein berechtigtes Interesse hat.

A. Funktion und Anwendungsbereich.

I. Funktion.

 

Rn 1

§ 824 gewährt einen Anspruch auf Ersatz bestimmter Vermögensschäden bei wahrheitswidriger vorsätzlicher oder fahrlässiger Behauptung oder Verbreitung von Tatsachen (Verschuldenshaftung). Er ergänzt insb den Schutz nach § 823 II iVm §§ 186 f StGB und nach § 826.

II. Anwendungsbereich.

 

Rn 2

Die Haftung nach § 824 steht in freier Konkurrenz zu den Haftungen gem § 823 I wegen Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts (MüKo/Wagner § 824 Rz 5 mwN), § 823 II iVm §§ 186 f StGB (RGZ 51, 369, 370 ff; BGH NJW 83, 1183 [BGH 16.11.1982 - VI ZR 122/80]; anders RGZ 115, 74, 79: bei Anwendung von §§ 186, 187 StGB verbleibt eine Regelungslücke) sowie – bei Vorsatz – gem § 826 (zB MüKo/Wagner § 824 Rz 6; Grüneberg/Sprau § 824 Rz 1). Bei Vorliegen einer geschäftlichen Handlung konkurrieren nach hM mit § 824 auch Ansprüche aus §§ 3 I, 4 Nr 2 iVm §§ 8 f UWG (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler Einl UWG Rz 7.6; NK-BGB/Katzenmeier § 824 Rz 4). Für das Verhältnis zum Immaterialgüterrecht s Vor §§ 823 ff Rn 26, § 823 Rn 65. Im Verhältnis zu presserechtlichen Ansprüchen auf Gegendarstellung besteht Anspruchskonkurrenz (s insb MüKo/Wagner § 824 Rz 8). Hingegen ist die Haftung nach § 823 I wegen Verletzung des Rechts am Unternehmen ggü derjenigen nach § 824 nachrangig (§ 823 Rn 81). Durch § 824 werden nicht nur natürliche, sondern auch juristische Personen geschützt (zB BGHZ 90, 113, 118 f; NJW 83, 1183; 18, 2877), weiterhin zB Handelsgesellschaften iR ihres Gesellschaftszwecks (RG HRR 1941, 1005; Stuttg NJW 76, 628, 630), Hersteller eines Produkts, aber auch Alleinvertriebsberechtigte (BGH NJW-RR 89, 924 [BGH 20.12.1988 - VI ZR 95/88]).

B. Regelungsinhalt.

I. Tatsache.

 

Rn 3

Tatsachen als Gegenstand der haftungsbegründenden Handlung sind konkrete Vorgänge oder Zustände der Vergangenheit oder Gegenwart, die sinnlich wahrnehmbar oder einer Überprüfung ihrer Richtigkeit durch Beweis zugänglich sind (BVerfG NJW 96, 1529 f mwN; BGHZ 132, 13, 21 mwN; 139, 95, 102). Sie sind abzugrenzen von Werturteilen, bei denen die subjektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Aussage, die Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens im Vordergrund stehen und die sich nicht als wahr oder unwahr erweisen lassen (zB BGH NJW 92, 1439, 1440; BGHZ 139, 95, 102; NJW 99, 483, 484; BGHZ 166, 84 Rz 63 mwN; NJW 11, 2204 Rz 9 f; MDR 15, 150 Rz 8; WM 15, 1664 Rz 24). Diese für § 824 zentrale Abgrenzung ist praktisch häufig schwierig, va weil das für Tatsachen meist als charakteristisch angesehene Kriterium der Beweisbarkeit letztlich auf einem Zirkelschluss beruht, da Beweisbarkeit das Vorliegen einer Tatsache voraussetzt (Larenz/Canaris § 79 I 2a). Bei der Abgrenzung sind insb die Verkehrsauffassung (s dazu nur BGHZ 139, 95, 102; NJW 04, 598; BeckOGK/Spindler § 824 Rz 8; NK-BGB/Katzenmeier § 824 Rz 9, beide mwN) sowie der verfassungsrechtliche Hintergrund des § 824 zu berücksichtigen. Da die Verkehrsauffassung für sich genommen häufig noch nicht hinreichend aussagekräftig ist, kommt den Grundrechten der Beteiligten besondere Bedeutung zu. Abzuwägen sind die Grundrechte des Äußernden (in erster Linie Art 5 I GG, ggf auch Art 5 III GG) einerseits und der Schutz der Persönlichkeit des durch die Äußerung Betroffenen (Art 1 I, 2 I GG) andererseits.

 

Rn 4

Vor allem der Meinungsfreiheit des Äußernden kommt bei der Grundrechtsprüfung regelmäßig ein hoher Stellenwert zu. Sie umfasst grds alle Aussagen außer bewusst unwahren Tatsachenbehauptungen bzw Behauptungen, deren Unwahrheit bereits im Zeitpunkt der Äußerung unzweifelhaft feststeht (s nur BVerfG NJW 83, 1415; NJW-RR 01, 411 [BVerfG 09.10.2000 - 1 BvR 1839/95] mwN); in den genannten Ausnahmefällen überwiegt idR der Schutz des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen. Das BVerfG hat betont, dass die zivilrechtliche Haftung nicht den freien Kommunikationsprozess einschnüren darf (BVerfG NJW 99, 1322, 1324 [BVerfG 10.11.1998 - 1 BvR 1531/96]; NJW-RR 00, 1209, 1210), was in Zweifelsfällen für die Annahme eines nicht unter § 824 fallenden Werturteils sprechen dürfte (s insb BVerfG NJW 83, 1415; 97, 2513, 2514 mwN; BGHZ 139, 95, 102; BeckOGK/Spindler § 824 Rz 12; Erman/Wilhelmi § 824 Rz 2). Aus der Wissenschaftsfreiheit leitet die Rspr ab, dass wissenschaftliche Äußerungen, Sachverständigengutachten und ärztliche Diagnosen idR nicht als von § 824 erfasste Tatsachenbehauptungen anzusehen sind (zB BGH NJW 78, 751 f; 89, 774, 775; 99, 2736 f; LG Köln Kunst & Recht 13, 105, 106 f). In der Lit wird dies mitunter kritisiert, weil solche Thesen n...

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