Rn 16

Die Inanspruchnahme gesetzlicher Verfahren ist grds rechtmäßig und kommt daher als Rechtfertigungsgrund in Betracht (s nur BGHZ 36, 18, 20 ff; NJW 04, 446, 447; NJW-RR 05, 315, 316 f mwN; BVerfG NJW 87, 1929); unberührt bleibt jedoch die Haftung auf Schadensersatz nach § 826 sowie nach §§ 717 II, 945 ZPO. Entsprechendes gilt für die Wahrnehmung eines öffentlichen Amtes bzw öffentlich-rechtlicher Befugnisse (Soergel/Spickhoff § 823 Rz 134 f). Bei wissenschaftlichen Veröffentlichungen wird in Fällen leichter Fahrlässigkeit die Rechtswidrigkeit unter Hinweis auf Art 5 III GG mit überzeugender Begründung verneint (Heldrich OdW 15, 155, 162).

 

Rn 17

Ein praktisch besonders wichtiger Rechtfertigungsgrund ist nach hM die Einwilligung des Verletzten, insb bei der Arzthaftung (s.u. Rn 207) und der Sportausübung (s.u. Rn 162); teilw ist jedoch gerade in diesen Fallgruppen der Ansatz bei der Rechtfertigung statt auf Tatbestands- oder Verschuldensebene str (s nur Erman/Wilhelmi § 823 Rz 146; Looschelders JR 00, 265, 267 ff). Bei Infektionen mit SARS-CoV-2 wird eine rechtfertigende Einwilligung regelmäßig nicht in Betracht kommen, weil ein Inkaufnehmen eines gewissen Risikos noch nicht ausreicht und bei der Teilnahme an einer ›Corona-Party‹ zum Zwecke des Herbeiführens einer Infektion und einer späteren Immunität die Einwilligung regelmäßig nach § 138 unwirksam sein dürfte (Brand/Becker NJW 20, 2665, 2669; ähnl Köhler/Hitzig COVuR 20, 409, 415), und zwar unabhängig vom konkreten Krankheitsverlauf (insoweit aA Brand/Becker NJW 20, 2665, 2669). Die Einwilligung ist keine Willenserklärung (s nur BGHZ 29, 33, 36; 105, 45, 47 f); es ist aber stets zu prüfen, ob einzelne Regeln über Willenserklärungen entspr angewandt werden können. Die Einwilligung kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen (BGH NJW 61, 261, 262; 80, 1903); sie ist wie eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung auszulegen (zB BGH NJW 80, 1903, 1904; 92, 1558, 1559; 99, 863, 864). Im Einzelfall kann auch eine mutmaßliche Einwilligung rechtfertigend wirken (zB BGHZ 29, 46, 52; NJW 66, 1855, 1856). Die Einwilligung darf nicht sittenwidrig oder gesetzlich verboten sein (BGHZ 67, 48, 50 f). Bei arglistiger Täuschung oder widerrechtlicher Drohung ist die Einwilligung unwirksam (zB BGHZ 7, 198, 207; NJW 64, 1177, 1178); eine Anfechtung wegen Irrtums kommt jedoch idR nicht in Betracht (BGH NJW 64, 1177, 1178 [BGH 02.12.1963 - III ZR 222/62]; 94, 2755, 2756 [BGH 24.06.1994 - V ZR 19/93]). Bei nicht voll Geschäftsfähigen differenziert die Rspr – abw von §§ 104 ff – iE nach Reifegrad und Art des gefährdeten Rechtsguts: Grds reicht es aus, wenn der Betroffene nach seiner geistigen Veranlagung und Entwicklung sowie seiner sittlichen Reife in der Lage ist, Erheblichkeit und mögliche Folgen der Einwilligung zu ermessen; dann kann möglicherweise sogar der nicht Geschäftsfähige allein einwilligen (zB BGHZ 29, 33, 37); insb bei aufschiebbaren, wichtigen Entscheidungen kann aber auch die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters erforderlich sein (zB BGH NJW 72, 335, 337 [BGH 16.11.1971 - VI ZR 76/70]), bei bestimmten Rechtsgütern evtl sogar zusätzlich diejenige des nicht voll Geschäftsfähigen (BGH NJW 74, 1947, 1950: Veröffentlichung von Nacktaufnahmen; 07, 217 Rz 8: Arzthaftung, dazu s.u. Rn 211). Die Beweislast für das Vorliegen einer Einwilligung trägt der Schädiger (BGH NJW-RR 05, 172 f [BGH 19.10.2004 - X ZR 142/03]). Im Immaterialgüterrecht differenziert der BGH zwischen der ›schlichten‹ (rechtfertigenden) Einwilligung und der Einwilligung mit Rechtsfolgewillen in Bezug auf die Nutzung von Immaterialgüterrechten (BGHZ 185, 291 Rz 35; NJW 12, 1886 [BGH 19.10.2011 - I ZR 140/10] Rz 17; dazu insb v Ungern-Sternberg GRUR 09, 369 ff) und stellt an die rechtfertigende Einwilligung bedenklich niedrige Anforderungen (BGHZ 185, 29 Rz 35 f; zu Folgefragen, wie zB die Abgrenzung zur Lizenzerteilung oder Widerrufsmöglichkeiten zB Spindler GRUR 10, 785, 789 ff; Conrad ZUM 10, 585, 586 f [BGH 29.04.2010 - I ZR 69/08]).

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