Rn 200

Das Vorliegen einer Verkehrspflichtverletzung ist grds vom Geschädigten darzulegen und zu beweisen. Ggf kommt ein Anscheinsbeweis für das Vorliegen eines Produktfehlers und die haftungsbegründende Kausalität in Betracht, wenn gleichartige Schäden bei mehreren Benutzern auftreten (BGHZ 17, 191, 196; NJW 87, 1694, 1695 mwN; einschr Köln NJW-RR 12, 922), der Hersteller gegen Unfallverhütungsvorschriften verstoßen hat (BGH BB 72, 13 f; München NJW-RR 89, 1371 mwN), wenn eine nachträgliche Produktveränderung faktisch ausgeschlossen ist (BGH NJW 87, 1694, 1695) oder sonst konkrete Umstände dafür sprechen, dass der Fehler seinen Ursprung in der Sphäre des Produzenten hat. Ein Anscheinsbeweis scheidet aber aus, wenn nicht auszuschließen ist, dass der Fehler erst nach der Auslieferung entstanden ist (BGH NJW 87, 1694, 1695; BGHZ 104, 323, 331; NJW 93, 528; Schlesw NJOZ 13, 1366) oder wenn sich die Fehlerursache nicht klar im Einflussbereich des Produzenten lokalisieren lässt (s etwa LG Paderborn BeckRS 12, 11199 zu einer EHEC-Infektion).

 

Rn 201

Charakteristisch für die Produkthaftung ist va die im ›Hühnerpest‹-Urteil des BGH (BGHZ 51, 91) begründete Beweislastumkehr. Sie gilt jedenfalls für das Verschulden bei Konstruktions- und Fabrikationsfehlern (BGHZ 51, 91, 105), weil der Grund für eine etwaige Unaufklärbarkeit in der Sphäre des Produzenten liegt. Später wurde klargestellt, dass sich die Beweislastumkehr auch auf Pflichtwidrigkeit und haftungsbegründende Kausalität bezieht (zB BGHZ 80, 186, 196 f; 116, 104, 107 ff mwN; NJW 99, 1028, 1029 mwN): Beweist der Geschädigte, dass ein Konstruktions- oder Fabrikationsfehler vorliegt, der aus dem Organisationsbereich des Herstellers stammt, werden Verkehrspflichtverletzung, haftungsbegründende Kausalität und Verschulden des Produzenten vermutet. Dieser kann sich entlasten, wenn er beweist, dass er die notwendige Sorgfalt angewandt, insb (einschl seiner Hilfspersonen) die oben angeführten Verkehrspflichten eingehalten hat und ihn kein Verschulden trifft (zB BGHZ 51, 91, 105; 80, 186, 196 f; NJW 96, 2507, 2508). Dieser Entlastungsbeweis gelingt praktisch selten, zumal die Einhaltung technischer Normen allein zur Entlastung idR nicht ausreicht (s.o. Rn 184). Inzwischen wird mitunter eine Ausdehnung der Beweislastumkehr auf anfängliche Instruktionsfehler, die aus der Sphäre des Herstellers stammen, angenommen (BGHZ 80, 186, 197 f; 116, 60, 72 f; Brandbg GesR 07, 181, 183; Saarbr NJW-RR 13, 271; Stuttg SVR 16, 300). Sie wurde zunächst auf das Verschulden begrenzt, weil iÜ keine Beweisnot des Geschädigten vorliege, die derjenigen bei Konstruktions- und Fabrikationsfehlern entspreche (insb BGHZ 80, 186, 197 f). Weil dem Geschädigten nicht alle Erkenntnismöglichkeiten des Herstellers in Bezug auf die Gefährlichkeit des Produkts (zB interne Tests) zugänglich sind, wird heute aber für Tatsachen, die dem internen Bereich des Herstellers entstammen, zu Recht eine Beweislastumkehr auch für Instruktionspflichtverletzung und haftungsbegründende Kausalität angenommen (insb BGHZ 116, 60, 73; NJW 99, 2815, 2816 mwN; BGHZ 181, 253 Rz 33; BeckOGK/Spindler § 823 Rz 725 ff mwN; einschr Bremen VersR 04, 207, 208; Brandbg GesR 07, 181, 183 f; Burckhardt BB 09, 1888, 1889; krit Klindt/Handorn NJW 10, 1105, 1108). Fraglich ist, ob dies auch für die Verletzung nachträglicher Instruktionspflichten gilt (dagegen zB BGHZ 80, 186, 198 f); hier erscheint eine parallele Handhabung zur Verletzung anfänglicher Instruktionspflichten angebracht, dh eine Beweislastumkehr kommt in Betracht, wenn Erkenntnismöglichkeiten in Frage stehen, die in der Sphäre des Herstellers liegen (in diese Richtung auch zB BeckOGK/Spindler § 823 Rz 725; NK-BGB/Katzenmeier § 823 Rz 329). Für Produktbeobachtungspflichten dürfte bei vergleichbarer Beweisnot Entsprechendes anzunehmen sein, was insb bei selbstlernenden Systemen, die sich in für den Nutzer nicht erkennbarer Weise weiterentwickeln, von Bedeutung sein dürfte. Der Vorschlag der EU-Kommission zur außervertraglichen Haftung für Künstliche Intelligenz sieht die Möglichkeit einer Anordnung von Offenlegungspflichten durch nationale Gerichte vor (COM [22] 496 final Art 3 I–IV) und bei Nichtbefolgung dieser Pflichten die Vermutung einer Verkehrspflichtverletzung (Art 3 V). Weiterhin soll unter bestimmten Voraussetzungen die haftungsausfüllende Kausalität widerleglich vermutet werden (Art 4).

 

Rn 202

Bei Verletzung einer Befundsicherungspflicht durch den Hersteller findet nach der Rspr zudem eine Beweislastumkehr in Bezug auf die Herkunft des Fehlers aus der Sphäre des Produzenten statt (dazu insb Foerste VersR 88, 958 ff; Giesen JZ 88, 969 ff; Winkelmann MDR 89, 16 ff; Steffen FS Brandner 327, 336 ff; Kunz BB 94, 450, 453 f; Looschelders JR 03, 309, 313). Die Voraussetzungen solcher Befundsicherungspflichten sind jedoch bislang unklar und str (bejaht zB in BGHZ 104, 323, 333 ff; 129, 353, 361 ff mwN; abgelehnt zB in Dresd NJW-RR 99, 34 f; Ddorf NJW-RR 00, 833, 835; einschr a...

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