Rn 32

In Rspr und Lit besteht Einigkeit darüber, dass die uneingeschränkte Anwendung der Saldotheorie in Einzelfällen zu nicht hinnehmbaren Ergebnissen führen kann. Hier spielt der Umstand eine wichtige Rolle, dass die für die Vertragsabwicklung maßgeblichen gesetzlichen Wertungsentscheidungen ganz überwiegend keinen Anklang in den Regeln des Bereicherungsausgleichs finden und dort deshalb zur Wiederherstellung des Gerechtigkeitsgefüges über die Herausbildung und Anwendung entspr Wertungskriterien eingeführt werden müssen. Das erkennt auch die weiterhin vom Boden der Saldotheorie operierende Rspr an, gelangt aber nur im Zusammenhang mit besonders gelagerten Sachverhaltskonstellationen zu punktuellen Einschränkungen. Demgegenüber neigt die – freilich stark uneinheitliche – Lit zunehmend dazu, von der herkömmlichen Saldotheorie ganz Abstand zu nehmen. Insoweit reicht das Meinungsspektrum von einer sich an die Bestimmungen des Rücktrittsrechts anlehnenden Modifizierung der Saldotheorie (so bspw v Caemmerer FS Larenz [73], 621, 638; Esser/Weyers Schuldrecht II/2, § 51 II 3c), über die Hervorhebung von Gesichtspunkten der vertraglichen Risikoverteilung bis zu einer an den gesetzlichen Wertungen in § 346 III orientierten Lösung über eine teleologische Reduktion des § 818 III (hierzu sowie eingehend zum Meinungsstand MüKo/Schwab § 818 Rz 216 ff, 252 ff; AnwK/Linke § 818 Rz 75 ff). Anlass für derartige Bemühungen bieten va folgende Problemlagen (zu Beschränkungen des Bereicherungsausgleichs aus dem Gesichtspunkt der unzulässigen Rechtsausübung § 812 Rn 3 und o Rn 29):

 

Rn 33

Der Saldierungsgedanke greift nicht, wenn noch kein Leistungsaustausch stattgefunden hat. Erbringt bspw der den Kaufpreis stundende Verkäufer eine Vorleistung, indem er dem Käufer den Kaufgegenstand übergibt, ohne die Gegenleistung erhalten zu haben, so fehlt es mangels Bereicherungsanspruch des Käufers gegen den Verkäufer an einer saldierungsfähigen Kondiktionslage. Ist nun der Kaufgegenstand beim Käufer untergegangen, kann dieser sich auf Entreicherung berufen und muss – wegen der Unwirksamkeit des Vertrages – weder zahlen, noch gem § 818 II Wertersatz leisten (zum Ganzen AnwK/Linke § 818 Rz 74 mwN). Dieses Ergebnis ist nach zutreffender Auffassung mit den maßgeblichen Regeln der Gefahrtragung nicht in Einklang zu bringen und zwingt deshalb für diese Fälle dazu, von der Anwendung der Saldotheorie Abstand zu nehmen (ebenso MüKo/Schwab § 818 Rz 230 mwN).

 

Rn 34

Weitgehende Einigkeit besteht darüber, dass der Saldierungsgedanke nicht zulasten Geschäftsunfähiger oder beschränkt Geschäftsfähiger gehen darf (BGHZ 126, 105, 107 f; BGH NJW 00, 3562). Insoweit gebührt den gesetzlichen Wertungsentscheidungen der §§ 104 ff Vorrang, so dass bspw der Minderjährige sich den Wert der empfangenen und untergegangen Leistung selbst dann nicht auf seinen die Gegenleistung betreffenden Kondiktionsanspruch anrechnen lassen muss, wenn er den Untergang verschuldet hat (BGHZ 126, 105, 109).

 

Rn 35

Streitig ist hingegen, ob diese Grundsätze auch auf die Fälle Anwendung finden, in denen die Auswirkungen der Saldierungstheorie zulasten des arglistig Getäuschten gehen. Die Rspr erteilt in derartigen Fällen dem Saldierungsgedanken mit Billigkeitserwägungen (BGHZ 53, 144, 147 f) und dem Hinweis auf die Bösgläubigkeit des Täuschenden eine Absage (BGHZ 57, 137, 149; vgl hierzu MüKo/Schwab § 818 Rz 225 f). Gleiches soll für wucherische und damit gem § 138 sittenwidrige Geschäfte (BGHZ 146, 298, 308) sowie für die Folgen der Irrtumsanfechtung gelten (BGHZ 72, 252). IÜ ist dem Käufer mit Rücksicht auf die in § 346 III niedergelegte gesetzliche Wertung entgegen den Grundsätzen der Saldotheorie der Entreicherungseinwand zu belassen, wenn ein Mangel der Kaufsache zu deren Untergang geführt hat (AnwK/Linke § 818 Rz 73). Nach Auffassung des BGH gelten die Grundsätze der Saldotheorie schließlich nicht in der Insolvenz, soweit hierdurch die Beschränkungen des Insolvenzrechts hinsichtlich der Geltendmachung von Forderungen gegen den Insolvenzschuldner außer Kraft gesetzt würden (BGH NJW 05, 884, 887 [BGH 02.12.2004 - IX ZR 200/03] – Sozialversicherungsbeiträge).

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