Rn 12

Die Abnahmefiktion gem § 640 II ermöglicht es dem Unternehmer, die Abnahmewirkungen auch ohne eine entspr rechtsgeschäftliche Erklärung des Besteller herbeizuführen. Die Voraussetzungen für die Fiktion hat der Gesetzgeber durch die Neufassung der Vorschrift mit Einführung des neuen Bauvertragsrechts für nach dem 1.1.18 geschlossene Werk- und Bauverträge signifikant modifiziert.

 

Rn 13

Voraussetzung für die Fiktion war gem § 640 I 3 aF, dass der Besteller das Werk nicht innerhalb einer ihm hierfür vom Unternehmer bestimmten angemessenen Frist abnimmt, obwohl er hierzu verpflichtet ist. Eine solche Verpflichtung besteht gem § 640 I 2 nur, wenn keine wesentlichen Mängel vorhanden sind (s Rn 5). Die Fiktion griff also nur, wenn die Werkleistungen idS abnahmereif fertiggestellt waren (Schlesw BauR 08, 360). Weil allerdings nach allg Grundsätzen der Unternehmer die Abnahmereife beweisen muss, war er in der Praxis nahezu sämtlicher Vorteile der Abnahmefiktion beraubt, weil er im Prozess – wie bei ausstehender Abnahme – das Vorhandensein der vom Besteller behaupteten wesentlichen Mängel widerlegen musste. Deshalb war an dieser Stelle in den Vorauflagen die Auffassung vertreten worden, dem Besteller die Beweislast für die fehlende Abnahme jedenfalls in den Fällen aufzuerlegen, in denen er innerhalb der Frist keine konkreten Mängelrügen vorgebracht oder die Verweigerung der Abnahme erklärt hat.

 

Rn 14

Nach jetzt geltendem Recht reicht es aus, dass der Unternehmer dem Besteller eine angemessene Frist setzt, um das von ihm fertig gestellte Werk anzunehmen. Verweigert der Besteller die Abnahme nicht innerhalb dieser Frist unter Angabe mindestens eines Mangels, gilt das Werk als abgenommen, und zwar unabhängig davon, ob es abnahmereif fertig gestellt ist oder nicht. Der Gesetzgeber knüpft die Abnahmefiktion also an die Überlegung, dass der Besteller dem Unternehmer offenbaren soll, warum er die fertigen Werkleistungen nicht abnimmt und setzt im Zusammenspiel mit der Zustandsfeststellung gem § 650g I bis III einen starken Anreiz für Transparenz und Kooperation.

 

Rn 15

Das Werk muss fertiggestellt sein, damit die Fiktion eintreten kann. Der Begriff ist neu und verlangt weniger als Abnahmereife und erst recht als vollständige Fertigstellung nach § 3 II 2 Nr. 2 MaBV. Es reicht aus, dass das Werk nach den vertraglichen Vereinbarungen der Parteien als fertig anzusehen ist, weil die Vertragsleistungen abgearbeitet bzw. erbracht sind; das Vorliegen von Mängeln, auch wesentlichen Mängeln, hindert die Fertigstellung idS nicht (ebenso: Langen/Berger/Dauner-Lieb/Sonntag, § 640 Rz 49; D/L/O/P/S/Oberhauser, § 3 Rz 12; vgl Gesetzesbegründung BTDrs 18/8486 S 49).

 

Rn 16

Von einer angemessenen Frist ist auszugehen, wenn sie dem Besteller ausreichend Gelegenheit gibt, das Werk nach seiner konkreten Beschaffenheit unter gewöhnlichen Verhältnissen zu prüfen und abzunehmen (bei Bauwerken werden entspr zu § 12 V VOB/B 12 Werktage als angemessen betrachtet). Wird die gesetzte Frist zu kurz bemessen, gilt idR die angemessene. Nach zutreffender Auffassung ist eine Fristbestimmung nach allg Grundsätzen (vgl §§ 281 II, 323 II) entbehrlich, wenn der Besteller die Abnahme bereits endgültig unberechtigt verweigert hat (BGH BauR 08, 344 Rz 29; aA Grüneberg/Retzlaff § 640 Rz 15), zumal die Abnahmewirkungen dann ohnehin unmittelbar eintreten. Die fristgebundene Aufforderung zur Abnahme bedarf keiner Form; Schriftform ist zweckmäßig. Unerheblich ist, ob der Besteller den fruchtlosen Fristablauf zu vertreten hat. Auch in Anbetracht der Möglichkeit des Unternehmers, die Abnahmewirkung durch Fristsetzung im Wege der Fiktion herbeizuführen, dürfte die bisherige Rspr (BGHZ 132, 96) aufrecht zu erhalten sein, wonach die Möglichkeit besteht, auf Abnahme zu klagen – mit anschließender Zwangsvollstreckung nach § 888 ZPO.

 

Rn 17

Die Fiktion tritt ein, wenn der Besteller die Abnahme nicht innerhalb der Frist unter Angabe mindesten eines Mangels verweigert hat. Es handelt sich um eine formale Anforderung. Es kommt nicht darauf an, ob der Mangel, den der Besteller nur anhand seiner Symptome beschreiben muss (vgl § 635 Rn 2), tatsächlich vorliegt oder nicht. Ebenso wenig ist es von Bedeutung, ob die vom Besteller zur Begründung der Abnahmeverweigerung herangezogenen Mängel einzeln oder in der Summe wesentlich sind und tatsächlich die Abnahmeverweigerung zu rechtfertigen vermögen. Mängel, die der Besteller nicht zur Rechtfertigung der fristgerechten Abnahmeverweigerung nennt, kann er zur Begründung fehlender Abnahmereife noch nachschieben (vgl zum Ganzen: Gesetzesbegründung BTDrs 18/8486 S 49; ebenso: Langen/Berger/Dauner-Lieb/Sonntag, § 640 Rz 60; D/L/O/P/S/Oberhauser, § 3 Rz 15). Darlegungs- und beweispflichtig für die Fertigstellung des Werkes und den Zugang der fristgebundenen Abnahmeaufforderung ist der Unternehmer. Ihn wird auch den Beweis führen müssen, dass der Besteller nicht innerhalb gesetzter Frist die Abnahme unter Angabe mindestens eines Mangels verweigert hat...

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