I. Grundlagen.

 

Rn 1

Die Aufrechnung ist ihrer Rechtsnatur nach ein schuldrechtliches Gestaltungsgeschäft und ihrer Wirkung nach ein Erfüllungssurrogat. Sie ist nach dem BGB dadurch gekennzeichnet, dass sie erstens ein materiell-rechtliches und (obschon die Ausübung im Prozess möglich ist) nicht nur – wie in anderen Rechtsordnungen – ein prozessuales Rechtsinstitut darstellt, dass sie zweitens keine Saldierung kraft Gesetzes vorsieht, sondern ein Rechtsgeschäft (die Aufrechnung) verlangt und drittens durch einseitige rechtsgestaltende Erklärung einer Partei erfolgt (§ 388), ohne einen Vertrag vorauszusetzen (zum Verrechnungsvertrag s Rn 5). Treten sich zwei gegenseitige, gleichartige Forderungen als erfüllbar ggü, so kann der Inhaber einer vollwirksamen Forderung mit dieser ›Aufrechnungsforderung‹ die Forderung der anderen Seite (›Hauptforderung‹) durch Aufrechnung ganz oder teilweise zum Erlöschen bringen. Dem wirtschaftlichen Zweck nach ist die Aufrechnung auf eine vereinfachte, abgekürzte Erfüllung gegenseitiger gleichartiger Ansprüche gerichtet. Sie dient dem Aufrechnenden damit zugleich als ein Mittel privater Forderungsdurchsetzung (›Selbstexekution‹), das mit dem staatlichen Gewaltmonopol vereinbar ist (vgl BGHZ 99, 36). Als privates Gestaltungsgeschäft unterliegt die Aufrechnung aber nicht den Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung. Daher ist sie auch zulässig, wenn die Aufrechnungsforderung nur gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist (BGH NJW 13, 2975 [BGH 18.07.2013 - VII ZR 241/12]).

 

Rn 2

IPR: Art 17 ROM I (s dort sowie BGH NJW 13, 3156 Rz 17).

 

Rn 3

Die Aufrechnung ist auch im Öffentlichen Recht und gegen eine öffentlich-rechtliche Forderung möglich (BGHZ 5, 352; BVerwG NJW 83, 776; BFH NVwZ 84, 199; BSGE 75, 283; 104, 15). Die Vorschriften des BGB gelten entspr, soweit sie nicht durch Besonderheiten oder Sondervorschriften des Öffentlichen Rechts verdrängt werden; entscheidend ist im Zweifel das für die zu tilgende Forderung maßgebende Recht (BSG ZfS 68, 153; BVerwG NVwZ 84, 168). Über die Gläubigerstellung bestimmt demnach das Öffentliche Recht; der Bund ist danach Teilgläubiger des Umsatzsteueranspruchs (BGH DB 07, 1860). Erfolgt die Aufrechnung danach öffentlich-rechtlich, kann sie ähnl wie ein öffentlich-rechtlicher Vertrag aus einer Position der Gleichordnung – als verwaltungsrechtliches Gestaltungsgeschäft durch Willenserklärung – heraus erklärt oder hoheitlich in einen Verwaltungsakt eingekleidet werden (BGH NJW-RR 04, 1432 [BGH 22.03.2004 - NotZ 16/03]; BVerwG NJW 83, 776 [BVerwG 27.10.1982 - BVerwG 3 C 6.82]; BFHE 149, 482 [BFH 02.04.1987 - VII R 148/83]).

II. Abgrenzung zu ähnlichen Instituten.

1. Unselbstständige Rechnungsposten.

 

Rn 4

Eine Aufrechnung setzt voraus, dass sich zwei selbstständige Forderungen gegenüberstehen. Einer Aufrechnung bedarf es dann nicht, wenn lediglich einzelne Abrechnungsposten innerhalb eines einheitlichen Anspruchs einander gegenüberstehen, wie dies etwa aufgrund der Saldotheorie bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung gegenseitiger Verträge der Fall ist. Kein bloßes Abrechnungsverhältnis liegt zB bei Zahlungsansprüchen des Lieferanten und demgegenüber geltend gemachten Schadensersatzansprüchen des Bestellers oder Käufers vor, sofern die Leistung als solche als (wenn auch mangelhafte) Erfüllung angenommen wurde (BGH NJW 05, 2771 [BGH 23.06.2005 - VII ZR 197/03]; Karlsr OLGR 04, 69; aA Köln OLGR 01, 71 zum Architektenvertrag).

2. Verrechnung, Verrechnungsabrede und Aufrechnungsvertrag.

 

Rn 5

Von der Aufrechnung zu unterscheiden ist die sog Verrechnung. Nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit steht es den Parteien frei, über die im Gesetz vorgesehenen Fälle des Erlöschens eines Schuldverhältnisses hinaus weitere Tatbestände zu vereinbaren (›Erfüllungsersetzungsvertrag‹). Hierunter fällt auch eine Verrechnungsabrede, teilweise auch als Aufrechnungsvertrag bezeichnet. Die Verrechnung führt regelmäßig nur zum Erlöschen der Forderung. Dies lässt, wenn nicht weitere Vereinbarungen hinzutreten, die sonstigen Modalitäten der Erfüllung unberührt (Jena OLGR 01, 515). Welche Modalitäten für die Verrechnung gelten, hängt von den Abreden der Parteien ab. Regelmäßig ist im Falle einer vereinbarten Verrechnung gewollt, dass einander gegenüberstehende Forderungen zu dem von den Parteien vereinbarten Zeitpunkt erlöschen, ohne dass es hierfür einer weiteren Erklärung einer Seite bedarf (BGHZ 94, 132; NJW-RR 03, 1358). Sind künftige Forderungen betroffen, so ist die Erlöschenswirkung aufschiebend bedingt (Jena OLGR 01, 515). In Einzelfällen kann auch das Gesetz eine Verrechnung vorsehen, für die es nicht auf die §§ 387 ff ankommt (BAG EzTöD 700 TV ATZ Nr 21: § 41c I EStG)

 

Rn 6

Für die Verrechnung kommt es auf die Voraussetzungen der Aufrechnung nicht an. Das Einverständnis der Parteien schafft die rechtliche Grundlage für das Erlöschen der zu verrechnenden Forderungen, auch wenn die Voraussetzungen des § 387 nicht vorliegen. Denkbar ist auch der vertraglich vereinbarte Verzicht auf einzelne Aufrechnungsvoraussetzungen, namentlich auf das Erfordernis der Gegenseitigkeit (BGH WM 77, 760). Entscheidend ist, dass ...

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