Gesetzestext

 

Individuelle Vertragsabreden haben Vorrang vor Allgemeinen Geschäftsbedingungen.

A. Regelungszweck; Reichweite.

 

Rn 1

Individuelle Parteivereinbarungen haben wegen ihres Einzelfallbezugs einen stärkeren Geltungsanspruch als abstrakt-generelle AGB (Zoller JZ 91, 850). In den (praktisch die Regel bildenden) Fällen, in denen die Parteien hierzu keine Regelung getroffen haben, entscheidet das Gesetz daher das funktionelle Rangverhältnis (W/L/P/Lindacher/Hau § 305b Rz 1): Individualabreden haben Vorrang, wenn sie mit Regelungen in (wirksam einbezogenen) AGB in Konflikt stehen. Dieses allg Prinzip gilt auch für den unternehmerischen Geschäftsverkehr (BGH NJW-RR 90, 613 [BGH 22.01.1990 - II ZR 15/89]). Auf § 305b kann sich auch der Verwender berufen (BGH NJW 95, 1496 [BGH 26.01.1995 - I ZR 63/93]). In Verfahren nach §§ 1, 3 UklaG kann § 305b nicht geltend gemacht werden (BGH NJW 82, 333 [BGH 07.10.1981 - VIII ZR 229/80]).

B. Begriff der Individualabrede.

 

Rn 2

Individualabreden sind ausdrücklich oder stillschweigend, mündlich oder schriftlich (BGH NJW 86, 1807 [BGH 06.03.1986 - III ZR 234/84]; NJW-RR 95, 180; BAG NZA 21, 1651 [BAG 24.03.2021 - 10 AZR 16/20] Rz 85), vor, bei oder nach Vertragsabschluss getroffene (Stoffels Rz 347) Vereinbarungen der Parteien, die zwischen ihnen ausgehandelt (§ 305 Rn 11) oder verhandelt wurden (Grüneberg/Grüneberg § 305b Rz 2). Die Individualabrede muss selbst wirksam sein (U/B/H/Ulmer/Schäfer § 305b Rz 11). Es kommt nicht darauf an, ob sich die Parteien der Abweichung von den AGB bewusst waren oder die Abweichung gar beabsichtigten (BGH NJW 87, 2011 [BGH 09.04.1987 - III ZR 84/86]) oder ob die Individualabrede zugunsten oder zulasten des Kunden von den AGB abweicht (BGH NJW 95, 1494 [BGH 09.03.1995 - III ZR 55/94]). Die bloße Tatsache, dass sich der Vertragspartner über den Inhalt des Vertrages vollständig im Klaren ist, genügt nicht (BGH NJW 88, 2465 [BGH 27.04.1988 - VIII ZR 84/87]). Lassen vorformulierte Vertragsbedingungen dem Vertragspartner die Wahl zwischen zwei Vertragsvarianten, stellt dies grds noch keine Individualabrede dar (BGH NJW-RR 18, 814 [BGH 13.03.2018 - XI ZR 291/16]).

C. Regelungswiderspruch.

 

Rn 3

Der Regelungswiderspruch zwischen der Individualabrede und der wirksam einbezogenen (BRHP/H Schmidt § 305b Rz 8) AGB-Klausel kann sich unmittelbar aus dem Wortlaut oder mittelbar aus dem durch Auslegung (s § 305c Rn 11) zu ermittelnden Sinn der Abreden ergeben. So gehen individualvertragliche Beschaffenheitsvereinbarungen formularmäßigen Haftungsausschlüssen vor (BGHZ 54, 242; NJW 76, 43). Individuelle Haftungsregeln haben Vorrang vor in AGB vereinbarten Haftungsbeschränkungen (BGH VersR 77, 516). Die formularmäßige Bezeichnung als Alleinauftrag wird durch abw Abreden der Parteien verdrängt (BGHZ 49, 87). Eine Klausel, wonach Lieferfristen und Termine unverbindlich sind, gilt nicht, wenn die Parteien eine konkrete Lieferfrist oder einen festen Termin vereinbart haben (BGH WM 07, 703; 84, 48 f). Wurde ein bestimmter Betrag als Miete vereinbart, wird dadurch eine AGB-Klausel, wonach zusätzlich MwSt zu zahlen ist, verdrängt (BRHP/H. Schmidt § 305b Rz 16). Eine Festpreisabrede hat Vorrang vor einer in AGB enthaltenen Lohngleitklausel (Celle NJW 66, 507) oder einem in AGB in Bezug genommenen Kostenanschlag (Nürnbg MDR 77, 137; Grüneberg/Grüneberg § 305b Rz 4). Eine Klausel, die einen Skonto-Abzug vorsieht, wird durch eine Zahlungsvereinbarung ›ohne Abzug‹ verdrängt (U/B/H/Ulmer/Schäfer § 305b Rz 21).

D. Schriftformklauseln.

 

Rn 4

Der Grundsatz des Vorrangs der höherrangigen Individualabrede ist an keine speziellen Formanforderungen geknüpft (Rn 1). Daraus folgt, dass Schriftformklauseln (Michalski DStR 98, 771 f; Teske 90) außer Kraft gesetzt werden, wenn die Vertragschließenden deutlich den Willen zum Ausdruck bringen, die mündlich getroffene Abrede solle ungeachtet dieser Klausel gelten (BGH NJW 17, 1017 [BGH 25.01.2017 - XII ZR 69/16]; NJW-RR 95, 179 [BGH 20.10.1994 - III ZR 76/94]; NJW 86, 3132 [BGH 15.05.1986 - IX ZR 96/85]). Die mündliche Abrede muss allerdings auch hier (s Rn 2) rechtlich wirksam sein, was problematisch ist, wenn die Schriftformklausel zugleich die Vertretungsmacht einschränkt (Stoffels Rz 352). Zur Unwirksamkeit von Schriftformklauseln nach § 307s § 307 Rn 12; zur Wirksamkeit von Vollständigkeitsklauseln § 309 Rn 97.

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