Rn 22

Welchen Betrag das Gericht als Schmerzensgeld zusprechen wird, lässt sich schwer vorhersehen. Der Kläger braucht daher lediglich die für die Berechnung maßgeblichen Umstände darzutun und für ein angemessenes Schmerzensgeld einen Mindestbetrag anzugeben (BGH NJW 02, 3769, und zwar auch außerhalb des Klagantrags, BGHZ 132, 341, 350). Doch bleibt das Gericht auch durch eine solche Angabe trotz § 308 I ZPO nach oben frei (BGHZ 132, 341, 351; A. Diederichsen VersR 05, 433, 439). Erreicht das Urt umgekehrt den Mindestbetrag nicht, so besteht insoweit eine Beschwer (BGHZ aaO). Erreicht dagegen das Urt den Mindestbetrag, so fehlt eine Beschwer (BGH NJW 99, 1339 [BGH 02.02.1999 - VI ZR 25/98]). Das Berufungsgericht kann (entsprechende Parteianträge vorausgesetzt) die Bemessung in vollem Umfang überprüfen und verändern, an die Schätzung der ersten Instanz ist es nicht gebunden (BGH NJW 06, 1589 [BGH 28.03.2006 - VI ZR 46/05]). Der Streitwert richtet sich nach dem Mindestbetrag oder dem höheren im Urt festgesetzten Betrag. Im Prozesskostenhilfeverfahren wird ein großzügiger Maßstab des ›noch vertretbaren Rahmens‹ angelegt, BVerfG MDR 20, 632 [BVerfG 29.11.2019 - 1 BvR 2666/18]; Karlsr NZV 11, 258 [OLG Karlsruhe 16.02.2011 - 4 W 108/10].

 

Rn 23

Eine Klage auf Schmerzensgeld umfasst wegen der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes idR auch alle Zukunftsfolgen (BGH NJW-RR 18, 1426). Doch soll, wenn die der Festsetzung zugrunde liegenden Prognose auf einen bestimmten Zeitraum beschränkt ist, eine entspr Beschränkung auch für das Schmerzensgeld zulässig sein (BGH VersR 61, 727, 728). BGH VersR 04, 1334 erlaubt darüber hinaus in der Kombination eines Zahlungsantrags mit den Antrag auf Feststellung der Ersatzpflicht weiterer immaterieller Schäden auch eine sog offene Schmerzensgeldteilklage: Sie berücksichtigt alle bereits eingetretenen Schäden (ggf auch für die Zukunft) und klammert nur bestimmte Verschlechterungen aus, die für die Zukunft nur als möglich erscheinen. Treten nun in der Zukunft tatsächlich Verschlechterungen ein, kann (verjährungsfest aufgrund des Feststellungsantrages) ein weiteres Schmerzensgeld gefordert werden; vgl dazu Terbille VersR 05, 37; A. Diederichsen VersR 05, 433, 439 f. Bei der Bemessung werden nicht die Verschlechterungen isoliert betrachtet, sondern es ist zu fragen, welches Gesamtschmerzensgeld zu zahlen gewesen wäre, wenn die spätere Verletzungsfolge von vornherein in die ursprüngliche Schadensberechnung Eingang gefunden hätte; die Differenz dieser Summe zur Urteilssumme des Erstprozesses ist dann zuzusprechen (Saarbrücken NJW 11, 3169 [BGH 21.06.2011 - VI ZR 73/10]).

 

Rn 24

Eine Schmerzensgeldrente darf nicht durch die Bindung an einen Index der Lebenshaltungskosten dynamisiert werden (BGH VersR 73, 1067, 1068). Eine Anpassung wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse iSv § 323 ZPO hat der BGH zwar im Grundsatz für möglich gehalten. Jedoch führt nicht schon eine Steigerung des Lebenshaltungsindex von unter 25 % zu einer Anpassung. Entscheidend sei, ob die Rente insgesamt noch die Funktion eines ›billigen‹ Schadensausgleichs erfülle (BGH NJW 07, 2475 [BGH 15.05.2007 - VI ZR 150/06], womit der BGH auch nicht etwa gesagt hat, bei einer Steigerung über 25 % sei automatisch anzupassen). Entscheidendes Motiv gegen eine Anpassung der Rente dürfte sein, dass der BGH die Gleichwertigkeit von Kapitalbetrag und Rentenantrag gewährleisten will (oben Rn 19 aE).

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