Rn 3

In der Praxis ist im Streitfall das Bestehen eines Anspruchs ganz überwiegend eine Frage der Beweisbarkeit. Obwohl nur ein bestehender Anspruch verjähren kann, schützen die §§ 194 ff zunächst den scheinbaren Schuldner (BGHZ 122, 241, 244; ZIP 03, 524, 526). Je länger das angebliche Entstehen eines Anspruchs zurückliegt, umso schwieriger wird es für den vermeintlichen Schuldner, der insb bei zunehmendem Zeitablauf nicht mit einer Inanspruchnahme zu rechnen braucht, Nachweise für streitige anspruchshemmende oder -vernichtende Tatsachen beizubringen und ggf seinerseits Regress bei Dritten zu nehmen. Ihm droht hinsichtlich durch Zeitablauf nicht mehr verfügbarer Beweismittel eine besondere Gefahr (BGH 27.4.12 – V ZR 177/11 Rz 10; NJW 11, 218 [BGH 22.04.2010 - Xa ZR 73/07] Rz 25; 17, 2755 Rz 9; BAG NJW 15, 3598 [BAG 24.06.2015 - 5 AZR 509/13] Rz 23), während der Gläubiger derartigen Beweisnöten durch rechtzeitige Geltendmachung des Anspruchs oder entsprechende Beweissicherung vorbeugen kann. Der Bestand einer Forderung ist also nicht Voraussetzung für die erfolgreiche Geltendmachung der Verjährungseinrede, denn diese dient auch dazu, behauptete, in Wirklichkeit aber nicht oder nicht mehr bestehende Forderungen abzuwehren. Gewisse tatsächliche Zustände, die längere Zeit hindurch unangefochten bestanden haben, sollen im Interesse des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit nicht mehr infrage gestellt werden (BGH MDR 20, 42 Rz 23). Daher soll einerseits der Gläubiger eine faire Chance haben, seinen Anspruch geltend zu machen, und andererseits der Schuldner vor den Nachteilen geschützt werden, die der Ablauf von Zeit bei der Abwehr unbegründeter Ansprüche bzw die Inanspruchnahme wg einer Forderung mit sich bringen, mit der der Schuldner nicht mehr rechnen musste (BGH NJW 2021, 2647 [BGH 18.05.2021 - II ZR 41/20] Rz 16). In der Rechtspraxis wird nach erhobener Verjährungseinrede geprüft, ob die Verjährungsfrist für den geltend gemachten Anspruch abgelaufen wäre, und offengelassen, ob der Anspruch tatsächlich besteht (BGHZ 153, 337, 341). Aber selbst beim wirklichen Schuldner wächst mit Zeitablauf das Vertrauen auf die nicht mehr erfolgende Inanspruchnahme (BGHZ 128, 82). Den Verjährungsvorschriften liegt also der Gedanke zugrunde, dass gewisse tatsächliche Zustände, die längere Zeit hindurch unangefochten bestanden haben, im Interesse des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit als zu Recht bestehend anerkannt werden (BGH NJW-RR 93, 1059, 1060; NJW 18, 2056 [BGH 22.02.2018 - VII ZR 253/16] Rz 25; 13, 1228 Rz 24). Ausdruck dafür sind insb die kenntnisunabhängigen Höchstfristen von 10 bzw 30 Jahren (§ 199 II–IV) sowie das Verbot einer Verlängerung von Verjährungsfristen über 30 Jahre hinaus (§ 202 II). Angesichts dieses Schutzzwecks und dem Erfordernis eindeutiger Regeln bedarf es einer Auslegung der Normen zum Verjährungsrecht, die die gebotene Rechtssicherheit gewährleistet. Grds maßgeblich ist der Wortlaut (BGH 16.12.15 – XII ZB 516/14 Rz 38; MDR 20, 42 Rz 23). Erkennbarkeit des Anspruchs (§ 199 I) bzw die Länge der objektiven Fristen (§ 199 II–IV) führen in der Gesamtabwägung dazu, dass der Eingriff in den Schutzbereich des Art 14 GG gerechtfertigt ist (vgl BGH NJW-RR 05, 1683, 1686 [BGH 17.06.2005 - V ZR 202/04]; NJW 12, 1645 [BGH 28.02.2012 - XI ZR 192/11] Rz 18; auch BGH NJW 14, 3713 [BGH 28.10.2014 - XI ZR 348/13] Rz 53; MDR 20, 42 [BGH 13.11.2019 - IV ZR 317/17] Rz 32).

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