Rn 12

Die von einem Gericht erlassenen Urteile sind grds wirksam, aber ggf angreifbar. In Ausnahmefällen kann der Fehler aber so gravierend sein, dass die Wirkungslosigkeit des Urteils gerechtfertigt ist. Der die Wirkungslosigkeit begründende Fehler muss offensichtlich sein (BGHZ 127, 74, 79 = NJW 94, 2832, 2833; Musielak/Musielak Rz 5). In diesen Fällen besteht normalerweise weder materielle Rechtskraft noch überhaupt Tatbestandswirkung, wohl aber formelle Rechtskraft und bei entsprechender Bestimmtheit des Urteils auch Vollstreckungsfähigkeit (Ddorf NJW-RR 95, 895 [OLG Düsseldorf 20.06.1994 - 5 W 27/94]; Musielak/Musielak Rz 7; Zö/Feskorn Rz 19; Jauernig Zivilurteil S 141 ff). Insofern ist die Bezeichnung als ›wirkungsloses Urteil‹ irreführend, denn häufig begründen Fehler nur die Unbeachtlichkeit einzelner Urteilswirkungen (im Sinne eines ›wirkungsgeminderten‹ Urteils); so, wenn die materielle Rechtskraft wegen der mangelnden Bestimmtheit der in einem Teilurteil beschiedenen Einzelforderungen unklar ist (BGHZ 124, 164, 166 = NJW 94, 460), sofern nicht die Widersprüchlichkeit das Urt insgesamt unverständlich macht (dann wirkungsloses Urt, BGHZ 5, 240, 244 f = NJW 52, 818, 819). § 318 gilt auch für wirkungslose Urteile. Das Urt beendet die Instanz; es kann mit Rechtsmitteln angegriffen werden. Wegen des Fehlens der materiellen Rechtskraft ist erneute Klage möglich. Auch Nebenentscheidungen können Wirkungen erzeugen, wenn ihnen nicht derselbe Mangel wie dem Hauptanspruch innewohnt.

Relevant sind folgende Fallgruppen (ausf Jauernig Zivilurteil S 150 ff):

Das Urt wird zwar von einem Gericht erlassen, das aber ggü der Partei wegen deren Exterritorialität oder wegen bestehender Sonderregeln (zB NATO-Truppenstatut) keine Gerichtsbarkeit beanspruchen darf (§ 18 GVG; R/S/G § 62 Rz 22). Bloße Verletzungen der Rechtswegzuständigkeit genügen nicht; erst recht nicht die Entscheidung einer den ordentlichen Gerichten zugewiesenen Streitsache durch Gerichte der fG (so noch BGHZ 29, 223, 228).

Wirkungslos ist das Urt, wenn das Gericht eine im deutschen Recht unbekannte oder gesetzes- oder sittenwidrige Rechtsfolge ausspricht (Oldbg MDR 89, 268), nicht aber ohne weiteres, wenn das Gericht das Kollisionsrecht falsch anwendet und nach Maßgabe eines ausländischen Statuts etwas anordnet, was dem deutschen Recht insoweit unbekannt ist; zur Abwehr dieser Rechtsfolgen greift der ordre-public-Einwand. Ein wirkungsloses Urt liegt auch dann nicht vor, wenn das Gericht zB bei einer Zahlungsklage die Sittenwidrigkeit des zugrunde liegenden Anspruchs verkennt, denn die Rechtsfolge (Zahlung) ist als solche und für sich genommen nicht sittenwidrig. Die bloße Unmöglichkeit der Leistungserbringung für den Beklagten begründet nicht die Wirkungslosigkeit, sondern nur die Unzulässigkeit des Urteils, wenn die (objektive) Unmöglichkeit von vornherein feststeht (BGH NJW 86, 1676 mwN); anders aber, wenn ein Urt gegen eine nicht mehr lebende Person ergeht (so wohl Hamm NJW-RR 86, 739 [OLG Hamm 20.12.1985 - 4 W 148/85]). Generell führt der Umstand, dass das Urt mit dem materiellen Recht nicht in Einklang steht, nicht zur Nichtigkeit; der Entscheidung ist nur dann die Rechtswirkung zu versagen, wenn sie jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt (BGH NZI 10, 99, 100 [BGH 10.12.2009 - IX ZR 206/08], Rz 13 ff). Räumt das Gericht dem Insolvenzverwalter die Befugnis zur Geltendmachung von Anfechtungsklagen ein, obwohl die Ermächtigung im Insolvenzplan für die Fortsetzung eines Rechtsstreits über eine Insolvenzanfechtung (§ 259 III InsO) nicht besteht, so geht eine gerichtliche Anordnung über die Geltendmachung von Anfechtungsansprüchen durch den Verwalter mangels Eingreifens einer jeglichen Rechtsgrundlage von vornherein als nichtig ins Leere (BGH aaO, Rz 14 mwN).

Das Urt ist auch wirkungslos, wenn es aus Gründen, die in der tatsächlichen Natur der Sache liegen, keine Wirkung haben kann, zB wenn es gegensätzliche, widersprüchliche Rechtsfolgen anordnet oder eine nicht existente Partei verurteilt wird (zur Rechtsnachfolge § 325). Eine fehlende inhaltliche Bestimmtheit des Streitgegenstands macht das Urt wirkungslos (BGHZ 124, 164, 166 = NJW 94, 460, 461; NJW-RR 99, 1223). Gleiches gilt, wenn die Klage wegen eines Prozessvergleiches oder Klagerücknahme schon gar nicht mehr (Stuttg NJW-RR 87, 128) oder die Klage noch nicht anhängig war (auch bei noch fehlender Rechtshängigkeit: LG Tübingen JZ 82, 474 [LG Tübingen 22.02.1982 - 3 O 338/81]; beachte aber § 269); ferner bei einem Kostenfestsetzungsbeschluss nach Aufhebung des vorläufig vollstreckbaren Urteils (KG JW 36, 3073, 3074). Nicht hierher gehören Fälle, in denen das Urt nachträglich wirkungslos wird, zB bei § 269 III 1 Hs 2.

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