Rn 12

Eine Forderung ist dann nicht übertragbar und damit unpfändbar, wenn die Leistung an einen anderen als den ursprünglichen Gläubiger nicht ohne eine Veränderung ihres Inhalts erfolgen kann. Neben den höchstpersönlichen Ansprüchen des Berechtigten (Rn 9 ff) kommt dies in Betracht, wenn ein Gläubigerwechsel zwar rechtlich vorstellbar, das Interesse des Schuldners an der Beibehaltung einer bestimmten Gläubigerperson aber besonders schutzwürdig ist, oder wenn ohne Veränderung des Leistungsinhalts die dem Gläubiger gebührende Leistung mit seiner Person derart verknüpft ist, dass die Leistung an einen anderen Gläubiger als eine andere Leistung erschiene. Dies betrifft nach § 399 Alt 1 BGB Forderungen, die aufgrund ihres Leistungsinhalts eine so enge Verknüpfung zwischen den Parteien des Schuldverhältnisses herbeiführen, dass mit einem Wechsel in der Gläubigerposition ein schutzwürdiges Interesse des Schuldners verletzt würde oder die Identität der Forderung nicht gewahrt bliebe, etwa weil die Leistungshandlung im Hinblick auf den Empfänger einen besonderen Charakter annimmt (BGHZ 229, 94 Rz 10; BGH NZI 14, 656 [BGH 22.05.2014 - IX ZB 72/12] Rz 18; NJW-RR 20, 820 [BGH 30.04.2020 - VII ZB 82/17] Rz 17; NZI 23, 221 Rz 12; Ahrens NZI 23, 202). Bei der Zweckbindung einer Forderung droht mit der Übertragung eine Inhaltsänderung. Zweckgebundene Forderungen sind unpfändbar, wenn eine Pfändung mit dem zum Rechtsinhalt gehörenden Anspruchszweck unvereinbar wäre (BGH NJW-RR 05, 720), also der mit der Leistung bezweckte Erfolg bei einer Vollstreckung verfehlt wird (BGHZ 25, 211, 214). Für den Anlassgläubiger (dazu Ahrens FS Becker-Eberhard, S 1) ist eine Vollstreckung regelmäßig zulässig (Schuschke/Walker/Kessen/Thole/Kessal-Wulf/Lorenz/Els § 851 Rz 5). Dabei muss für die Forderung des Schuldners eine Zweckbestimmung existieren, in deren Rahmen die Gläubigerforderung gehört. Maßgebend ist eine materiell-rechtliche Prägung (Ahrens FS Becker-Eberhard, S 1, 12), die über die causa des Schuldverhältnisses hinausgehen muss. Entfällt durch eine Zweckerreichung die Zweckbindung, endet auch die Pfändungsbeschränkung (St/J/Würdinger § 851 Rz 24). Für zweckgebundene Mittel der EG gilt das besondere europäische Vollstreckungsregime (EuGH NJW 01, 3109).

 

Rn 13

Eine vertraglich vereinbarte Zweckbindung, mit der ein Verwendungszweck zum Inhalt der zu erbringenden Leistung erhoben wird, schränkt die Pfändbarkeit ein (aA Musielak/Voit/Flockenhaus § 851 Rz 6; St/J/Würdinger § 851 Rz 20). Eine einseitige Zweckbindung genügt dafür jedoch nicht (BGH NJW 98, 746, 747 [BGH 20.11.1997 - IX ZR 152/96]). Eine Spende begründet ohne besondere Bindung im Innenverhältnis zwischen Spender und der die Spenden sammelnden Organisation noch keine treuhänderische Vereinbarung. Auch werden bei einer Vollstreckung in ein Spendenaufkommen keine schutzwürdigen Interessen der die Spenden sammelnden Organisation beeinträchtigt (Ahrens NJW-Spezial 23, 85f). Bei einer vereinbarten treuhänderischen Zweckbindung, mit der die Zahlung an den ursprünglichen Gläubiger zum Leistungszweck gemacht wird, ist die Forderung unpfändbar (BGH NJW 85, 2263, 2264 [BGH 15.05.1985 - IVb ZR 33/84]; 01, 1937, 1938 [BGH 29.03.2001 - IX ZR 34/00]).

 

Rn 14

In den folgenden Einzelfällen schließt die Zweckbindung eine Pfändung aus: In Baugeldforderungen aus einem zweckgebundenen Darlehensvertrag dürfen allein die Gläubiger von Forderungen für Bauleistungen vollstrecken, wie Bauhandwerker oder Architekten (KG JW 37, 2232; Brox/Walker Rz 522). Ausgezahltes Baugeld, das nicht auf ein Treuhandkonto verbucht wird, ist dagegen pfändbar (BGH ZInsO 13, 1313 Rz 5). Während bei Bausparverträgen der Anspruch auf das Sparguthaben und das Recht zur Kündigung (MüKoZPO/Smid § 851 Rz 14) pfändbar sind, kann das zweckgebundene Bauspardarlehen nicht abgetreten und nicht gepfändet werden (Stuttg BB 56, 1012; Stöber/Rellermeyer Rz A.114). Ist das Baugeld ausgezahlt und nicht auf einem besonderen Treuhandkonto verbucht, dann ist es der Pfändung ausgesetzt (BGH NJW 88, 263, 265 [BGH 13.10.1987 - VI ZR 270/86]). Eine auf Befreiung von einer Verbindlichkeit gerichtete Forderung, etwa aus einer Rechtsschutz- bzw Haftpflichtversicherung oder dem Arbeitsverhältnis, ist grds nicht abtretbar und deswegen unpfändbar (BGH NJW-RR 01, 1490, 1491), es sei denn, sie wird vom Gläubiger jener Verbindlichkeit gepfändet (BGHZ 12, 136, 141). Beihilfeansprüche sind jedenfalls dann unpfändbar, wenn die Titelforderung nicht dem konkreten Beihilfeanspruch zugrunde liegt und dessen Anlassgläubiger noch nicht befriedigt sind (BGH NJW-RR 05, 720, 721). Staatliche Corona-Soforthilfen für Selbständige sind im Rahmen ihrer Zweckbestimmung unpfändbar (BGHZ 229, 94; NJW 21, 1322; AG Passau JurBüro 20, 330; AG Charlottenburg ZVI 20, 402; AG Hagen VuR 20, 278 Ls; Ahrens NZI 20, 495; ders ZInsO 21, 1189; BFH NJW 20, 2749 mAnm Ahrens; FG Münster ZVI 20, 214; LG Köln NZI 20, 494; ThoPu/Seiler § 851 Rz 3; HK-ZV/Meller-Hannich § 851 Rz 18; BeckOKZPO/R...

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