Rn 30

Da der Pfändungsfreibetrag nach Abs 1 S 2 aF bzw jetzt II erhöht wird, um den Unterhaltsbedarf von Angehörigen decken zu können, enthält Abs 6 eine Korrekturregel. Sachlich stimmt die neue Bestimmung vollständig mit der früheren Regelung aus Abs 4 überein. Lediglich die Stellung im Gesetz und die Verweisungen sind angepasst worden. Es gelten damit die bisherigen Ausführungen uneingeschränkt fort. Die höheren Freibeträge sind nicht berechtigt, wenn aufgrund eigener Einkünfte des Unterhaltsempfängers der Unterhaltsbedarf entfällt. Abweichend von den typisierten Freibeträgen aus den Abs 1 bis 3, stellt die Ausnahmebestimmung des Abs 6 eine individualisierte Entscheidungsregel auf. Die differenzierte, antrags- und ermessensabhängige Rechtsfolgenanordnung weist dies aus. Auf Antrag eines Gläubigers, nicht des Schuldners oder Drittschuldners, kann das zuständige Vollstreckungsgericht durch den Rechtspfleger (Rn 25) nach billigem Ermessen anordnen, dass eine unterhaltsberechtigte Person mit eigenem Einkommen bei der Berechnung des unpfändbaren Betrags ganz oder tw unberücksichtigt bleibt. Antrag und konstitutive gerichtliche Entscheidung sind notwendige Voraussetzungen eines nach § 850c VI verringerten Pfändungsfreibetrags (Ahrens NJW-Spezial 17, 725; aA Kuleisa ZVI 18, 219, 223, ohne die Schranken der Dispositionsfreiheit näher zu analysieren). Eine Vereinbarung zwischen Schuldner und Gläubiger (Insolvenzverwalter) kann diese nicht ersetzen. Vor der Vollstreckung sind den Pfändungsschutz beschränkende Vereinbarungen insgesamt unzulässig. Nach Beginn der Zwangsvollstreckung sind der Klauselkontrolle unterliegende Vereinbarungen jedenfalls wegen der Abweichung von den §§ 850 ff unzulässig, §§ 307 II Nr 1, 310 III Nr 1, 3 BGB. Individualvereinbarungen berühren den grundrechtlich geschützten Bereich und werden deswegen idR ebenfalls unzulässig sein. Soweit der Drittschuldner davon betroffen sein soll, handelt es sich um eine Vereinbarung zulasten Dritter. Ziel des Antrags kann ebenso sein, einen erwerbstätigen Angehörigen, wie ein Kind mit Unterhaltsanspruch auch gegen eine andere Person, bei Berechnung der Freibeträge unbeachtet zu lassen. Zunächst ist der Bedarf des Unterhaltsberechtigten zu ermitteln und davon dessen eigenes Einkommen abzuziehen (LG Kassel JurBüro 10, 216). Solange noch kein Antrag nach Abs 6 gestellt und beschieden wurde, ist der volle Freibetrag, unabhängig davon, welches Arbeitseinkommen der Schuldner bezieht und trotz eigener Einkünfte des Unterhaltsberechtigten zu gewähren (BAG ZIP 83, 1247, 1249). Dies gilt auch bei zusammenlebenden Ehegatten mit wechselseitigen Unterhaltsverpflichtungen und sogar bei Vollstreckung gegen beide (BGH NJW 12, 393 [BGH 03.11.2011 - IX ZR 45/11] Rz 9). Der Antrag kann zusammen mit dem Antrag auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses gestellt, mit einem Antrag auf privilegierte Pfändung nach den §§ 850d, 850f II verbunden oder auch im Pfändungsverfahren nachgeholt werden. Der Antrag kann nicht mit einer Vorpfändung verbunden werden (MüKoZPO/Smid § 850c Rz 32).

 

Rn 31

Wegen der erforderlichen Billigkeitsentscheidung ist der Schuldner abw von § 834 anzuhören. Diese Verpflichtung, dem Schuldner rechtliches Gehör zu gewähren, besteht unabhängig davon, ob der Gläubigerantrag mit dem Antrag auf Erlass eines Pfändungs- oder Überweisungsbeschlusses verbunden oder ob er nachträglich gestellt wurde (Wieczorek/Schütze/Lüke § 850c Rz 28; St/J/Würdinger § 850c Rz 30 f; aA LG Stade JurBüro 00, 378, 379; nur bei nachträglicher Anordnung Musielak/Voit/Flockenhaus § 850c Rz 10). Der Unterhaltsberechtigte und der Drittschuldner müssen nicht angehört werden.

 

Rn 32

Der Gläubiger trägt die Darlegungs- und Beweislast. Er muss substantiiert die eigenen Einkünfte des Unterhaltsempfängers sowie die maßgebenden Billigkeitserwägungen darlegen. Für den Gläubiger resultieren daraus erhebliche Lasten, weil er vielfach nicht unmittelbar über die Verhältnisse des Schuldners informiert ist. Dennoch muss das Gericht wegen der Grundrechtsbetroffenheit beim Schuldner und den Unterhaltsberechtigten genaue Angaben verlangen. Der Gläubiger muss den Unterhaltsempfänger, etwa als Ehefrau oder Kind, bezeichnen (ohne zwingende Namensangabe LG Kassel JurBüro 01, 154) und Einkünfte sowie die Einkommensquelle darlegen. Es genügt, wenn der Schuldner nach seiner eigenen Vermögensauskunft keinen Unterhalt zahlt (AG Brake JurBüro 21, 387). Sodann greifen die Grundsätze über die sekundäre Darlegungslast des Schuldners. Für eine Abweichung von diesen zivilprozessualen Regeln besteht kein Raum. Eine Glaubhaftmachung ist dann ausreichend, wenn der Schuldner die Angaben des Gläubigers nicht bestreitet (AG Nauen JurBüro 20, 162). Die Versteuerung der Einkünfte nach Steuerklasse 4 genügt nicht, um die Beweislast umzukehren (aA LG Leipzig JurBüro 18, 216; JurBüro 19, 44; AG Holzminden JurBüro 21, 668), denn steuerrechtliche und vollstreckungsrechtliche Kriterien sind nicht deckungsgleich. Unsubstantiierte...

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