Rn 1d

Während die §§ 850–850b bestimmen, was als Arbeitsentgelt oder entspr Einkommen des Schuldners in den Vollstreckungsschutz einbezogen ist, enthält § 850c die zentrale Regelung darüber, inwieweit das laufende, also wiederkehrend gezahlte Arbeitseinkommen für nicht bevorrechtigte Gläubiger pfändbar ist. Die Regelung justiert damit das gesamte System des sozialen Pfändungsschutzes für Entgeltforderungen des Schuldners. Als Primärzweck sichert der Grundfreibetrag aus § 850c I die Existenzgrundlage des Schuldners, dem hinreichende Subsistenzmittel belassen werden, um ein angemessenes Leben führen zu können, ohne auf staatliche Leistungen angewiesen zu sein (BGH NZI 14, 772 Rz 13). Eine unterste Grenze folgt aus dem unverfügbaren Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum (BVerfG NJW 10, 505 Rz 133; 14, 3425 Rz 74; 19, 3703 Tz 117 ff). Da das Zwangsvollstreckungsrecht anderen Zwecken als das Sozialrecht dient, überschreiten die vollstreckungsrechtlichen Sätze das Existenzminimum. Der Schutz des Existenzminimums ist auch durch § 850c verfassungskonform ausgestaltet (BGH NJW-RR 18, 570 [BGH 24.01.2018 - VII ZB 21/17] Rz 14). Hier ist ein deutlicher Abstand zu den sozialrechtlichen Regeln geboten, um Anreize zur Erwerbstätigkeit zu schaffen – Lohnabstandsgebot (BTDrs 17/2167, 28; BGH NZI 14, 772 [BGH 26.06.2014 - IX ZB 88/13] Rz 13; NZI 17, 931 [BGH 19.10.2017 - IX ZB 100/16] Tz 17, erweitertes Existenzminimum). Eine Orientierung an den sozialrechtlichen Größenordnungen ist unpassend, da diese die staatliche Leistungsgewährung für bedürftige Menschen regelt, im Lohnpfändungsrecht aber Maßstäbe für Personen mit eigenem und dann typischerweise oberhalb des Existenzminimums liegenden Einkommen aufgestellt werden müssen (vgl Ahrens NZI 11, 265, 267). Mit den in § 850c II vorgeschriebenen Erhöhungsbeträgen für die Personen, denen der Schuldner aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung Unterhalt leistet, schützt die Regelung auch die Familie des Schuldners. Diesem durch Art 6 I GG geforderten Schutz trägt § 850c I 2 bei bis zu fünf Unterhaltsberechtigten Rechnung. Selbst wenn größere Familienverbünde die Ausnahme darstellen, handelt es sich um eine verfassungsrechtlich kaum zu rechtfertigende Einschränkung, die durch die antrags- und ermessensabhängige Vorschrift des § 850f I lit c) nur unzureichend kompensiert wird (St/J/Würdinger § 850c Rz 1). Zudem lässt § 850c III einen Teil des Mehrverdienstes pfändungsfrei. Umgekehrt legitimiert dieser Abstand zum geschützten Existenzminimum auch den Zugriff privilegierter Gläubiger auf den Vorrechtsbereich nach den §§ 850d, 850f II (vgl BTDrs 17/2167, 28). Die Pfändungsfreibeträge können auch in einer Gesamtschau von Einzel- und Gesamtvollstreckungsrecht gesehen werden. Da die Restschuldbefreiung erst drei Jahre nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erteilt werden kann, §§ 287 II 1, 301 I InsO, rechtfertigt dies höhere Pfändungsfreibeträge. Zusätzlich dient die Regelung öffentlichen Zwecken und schützt die Sozialleistungssysteme (St/J/Würdinger § 850 Rz 1; § 850 Rn 2). Der Schuldner soll dadurch nicht trotz eigener Einkünfte die Sozialsysteme in Anspruch nehmen müssen, der Gläubiger nicht sein materielles Forderungsrecht zulasten der öffentlichen Träger der Daseinsfürsorge verwirklichen können. Schuldner und Gläubiger wird sodann eine sichere Basis geschaffen, auf die sie sich einstellen und die der Drittschuldner berechnen kann.

 

Rn 2

Die pfändungsfreien Beträge sind nach § 850c I–III pauschalisiert, wodurch sie weitgehend vom persönlichen Lebenszuschnitt des Schuldners absehen. Als Sekundärzweck treffen die Pfändungsgrenzen eine pauschalierende gesetzliche Abwägung zwischen Schuldner- und Gläubigerinteressen. Ihr misst der Gesetzgeber eine überragende Bedeutung zu, hat er sie doch nicht, wie etwa bei Bestimmung der Unterhaltspflichten, den Gerichten überlassen. Zugleich sichert er ihr durch die Dynamisierung der Freibeträge in Abs 4 fortlaufende Aktualität. Gegenüber den gesetzlichen Festbeträgen öffnen die §§ 850c VI, 850d, 850f gewisse Einfallstore für eine individualisierte Berücksichtigung der Verhältnisse von Schuldner und Gläubiger, die eine hinreichend flexible Handhabung des Pfändungsschutzes ermöglichen.

 

Rn 3

Mit den weiteren, tertiären Zielen legen die Tabellenbeträge aus der Anlage zu § 850c eine klare Berechnungsgrundlage fest. Diese dem gerichtlichen Ermessen entzogenen Tabellensätze schaffen Rechtssicherheit und eine hohe Praktikabilität. Der Verzicht auf eine Einzelfallprüfung entlastet die Gerichte und beschleunigt das Verfahren. Dadurch organisieren die vorgeschriebenen Freibeträge ein effektiv funktionierendes Massenverfahren der Lohnpfändung. Deswegen darf das Vollstreckungsgericht einen Blankettbeschluss unter Bezug auf die Pfändungstabelle erlassen, Abs 3 S 2.

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