Gesetzestext

 

(1) 1Das rechtskräftige Musterfeststellungsurteil bindet das zur Entscheidung eines Rechtsstreits zwischen einem angemeldeten Verbraucher und dem Beklagten berufene Gericht, soweit dessen Entscheidung die Feststellungsziele und den Lebenssachverhalt der Musterfeststellungsklage betrifft. 2Dies gilt nicht, wenn der angemeldete Verbraucher seine Anmeldung wirksam zurückgenommen hat.

(2) Hat ein Verbraucher vor der Bekanntmachung der Angaben zur Musterfeststellungsklage im Klageregister eine Klage gegen den Beklagten erhoben, die die Feststellungsziele und den Lebenssachverhalt der Musterfeststellungsklage betrifft, und meldet er seinen Anspruch oder sein Rechtsverhältnis zum Klageregister an, so setzt das Gericht das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung oder sonstigen Erledigung der Musterfeststellungsklage oder wirksamen Rücknahme der Anmeldung aus.

A. Zweck.

 

Rn 1

Die Vorschrift regelt zwei unterschiedliche Dinge, nämlich einerseits in Abs 1 die Wirkung eines rechtskräftigen Musterfeststellungsurteils und andererseits in Abs 2 die zeitlich vorgelagerte Wirkung der Anmeldung eines Verbrauchers zum Klageregister im Hinblick auf ein bereits laufendes Individualverfahren.

B. Bindungswirkung (Abs 1).

I. Bindung ohne rechtliches Gehör.

 

Rn 2

Das Gesetz sieht für den Anmelder keine Möglichkeit von Eingaben oder Stellungnahmen an das Prozessgericht vor. Er kann auch nicht ohne Weiteres die Verfahrensakten einsehen, wenn er nicht den Weg des § 299 II geht (s.o. § 609 Rn 7). Will er sich über den Fortgang des Verfahrens informieren, so hat er ansonsten nur die Möglichkeiten der allgemeinen Öffentlichkeit, zB als Zuschauer bei einer mündlichen Verhandlung. Der Kläger kann die Anmelder freiwillig über den Fortgang des Verfahrens informieren, muss dies aber nicht tun.

 

Rn 3

Diese Verweigerung jeglicher Informations- oder Beteiligungsrechte (›prozessuale Entmündigung‹ des Anmelders, so U. Schmidt WM 18, 1966, 1971) ist insofern konsequent, als der Anmelder nach Ablauf des ersten Tages der mündlichen Verhandlung ohnehin an seine Anmeldung gebunden ist (§ 608 III) und der Bindungswirkung des Urteils nicht mehr entkommen kann, auch wenn das Verfahren aus seiner Sicht schlecht geführt wird.

 

Rn 4

Im Ergebnis liegt also eine Bindung an ein Verfahrensergebnis ohne rechtliches Gehör vor und ohne die Möglichkeit, das Verfahren bei begründeten Bedenken zu verlassen. Dies wird zT für verfassungsrechtlich bedenklich gehalten (Meller-Hannich, Gutachten 72. DJT 2018, A 51; Stadler JZ 18, 793, 798; Fölsch DRiZ 18, 214, 216). Der Gesetzgeber begründet dies damit, dass das Musterverfahren dem Anmelder nur eine zusätzliche Rechtsschutzmöglichkeit verschaffe, die er nicht wahrnehmen müsse (BTDrs 19/2507, 16 u 27; zustimmend Weinland Rz 198). Durch die Einführung von Informationsrechten der Anmelder (etwa in einem elektronischen Informationssystem wie in § 12 II KapMuG) verbunden mit einer großzügigeren Austrittsmöglichkeit (zB bis zum Ende der mündlichen Verhandlung) könnte man den Anforderungen des Art 103 I GG besser gerecht werden.

II. Voraussetzungen der Bindungswirkung.

1. Rechtskraft des Musterfeststellungsurteils.

 

Rn 5

Es muss sich um ein rechtskräftiges Sachurteil handeln. Die Bindungswirkung entspricht den im Urteilstenor gemachten Feststellungen. Insoweit die Klage abgewiesen wird, gelten die Feststellungen als im gegenteiligen Sinne getroffen.

2. Anmeldung.

 

Rn 6

Die in Abs 1 statuierte Bindungswirkung tritt ein, wenn die Anmeldung rechtzeitig (§ 608 I) vorgenommen wurde und nicht wirksam zurückgenommen (§ 608 III) wurde.

3. Entscheidung betrifft Feststellungsziele und Lebenssachverhalt.

 

Rn 7

Die Bindungswirkung tritt nur ein, soweit die Entscheidung im Folgeprozess denselben Lebenssachverhalt und dieselben Feststellungsziele wie das Musterfeststellungsurteil ›betrifft‹ (Abs 1). Es ist unklar, warum hier eine andere Formulierung als in § 608 I (›abhängen‹) gewählt wurde. Dies ist aber unschädlich und hat keine inhaltlichen Auswirkungen (BeckOKZPO/Augenhofer Rz 5; aA Weinland Rz 196, wonach das Betreffen weiter zu verstehen sei). Der Sache nach geht es jedenfalls darum, dass es bei der Entscheidung im Folgeprozess auf die im Musterfeststellungsurteil getroffenen Feststellungen ankommt (Anders/Gehle/Schmidt ZPO Rz 5). Ob dies der Fall ist, kann nur das Gericht im Folgeprozess entscheiden (BGH ZIP 212, 2427).

III. Inhalt der Bindungswirkung.

 

Rn 8

Soweit eine Bindungswirkung vorliegt, muss das Gericht die im Musterfeststellungsurteil getroffenen Feststellungen im Folgeprozess anwenden. Bei Tatsachenfeststellungen wird insoweit eine Beweisaufnahme überflüssig. Bei Rechtsfragen ist das Gericht im Folgeprozess an die rechtliche Beurteilung im Musterfeststellungsurteil gebunden.

 

Rn 9

Soweit eine Widerklage nach allgemeinen Regeln zugelassen wird, nimmt diese nicht an der besonderen Bindungswirkung des § 613 I teil, da diese nur für die Musterfeststellungsklage des § 606 geschaffen ist. Die Entscheidung über eine Widerklage kann daher entsprechend dem allgemeinen Verfahrensrecht nur zwischen den Prozessparteien wirken.

IV. Bindung des Rechtsnachfolgers.

 

Rn 10

In analoger Anwendung von § 325 ist auch der Rechtsnachfolger des angemeldeten Verbrauchers an das Musterfeststellungsurteil gebunden (Röthemeyer Rz 10).

V. Bindungswirkung im Ausland.

1. Innerhalb der EU.

 

Rn 11

Das Musterfeststellungsurteil ...

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