Rn 9

§ 415 I enthält die Legaldefinition der öffentlichen Urkunde. Dieser Definition kommt über das Zivilprozessrecht hinaus Bedeutung für die gesamte Rechtsordnung zu (zB Grundbuchrecht: BGHZ 25, 186, 188; München NotBZ 19, 64, 65; andere Verfahren der fG: BayObLG 94, 13 = FamRZ 94, 530). Nach der Legaldefinition des § 415 I sind drei Elemente für die Einordnung eines Schriftstücks als öffentliche Urkunde erforderlich: die spezifische öffentliche Qualifikation des Ausstellers (Behörde oder mit öffentlichem Glauben versehene Urkundsperson), das Tätigwerden der Urkundsperson innerhalb ihres Amtsbereichs und die Einhaltung der vorgeschriebenen Form für die Beurkundung. Die Definition umfasst auch ausländische öffentliche Urkunden (BGH IHR 19, 28, 29; FamRZ 18, 1253, 1254; NJW-RR 07, 1006; LM Nr 3 zu § 418; Ddorf IPrax 96, 423, 425). Lediglich im Hinblick auf die Vermutung der Echtheit einer öffentlichen Urkunde differenziert das Urkundenbeweisrecht der ZPO zwischen inländischen und ausländischen öffentlichen Urkunden (§§ 437, 438). Ob eine ausländische Urkunde die Merkmale der öffentlichen Urkunde erfüllt, richtet sich nach dem einschlägigen ausländischen Recht (Ddorf IPrax 96, 423, 425; St/J/Berger § 415 Rz 17). § 415 formuliert die Beweisregel für öffentliche Urkunden über Erklärungen, die vor der Behörde oder der Urkundsperson abgegeben wurden. Daneben kennt die ZPO Beweisregeln für wirkende öffentliche Urkunden (§ 417) und für öffentliche Zeugnisurkunden (§ 418).

 

Rn 10

Die Legaldefinition der öffentlichen Urkunde in § 415 I deckt die Merkmale ab, die nach europäischem Zivilverfahrensrecht öffentliche Urkunden über Erklärungen von Privaturkunden unterscheiden. Der EuGH hat als maßgebliche Kriterien für die Qualifikation als (vollstreckbare) öffentliche Urkunde angesehen, dass die Beurkundung von einer Behörde aufgenommen wurde, dass sie sich auf den Inhalt und nicht nur auf die Unterschrift bezieht und dass die Urkunde in dem Staat, in dem sie ausgestellt worden ist, als solche vollstreckbar ist (EuGH Rs C-260/97, Slg 99, I-3715 Rz 15 ff; s.a. Art 4 Nr 3a EuVTVO sowie Art 3 Nr 1 VO [EU] 2016/1191). Die wesentlichen Kriterien, die die Vergleichbarkeit zwischen einem gerichtlichen Urt und der öffentlichen Urkunde herstellen, sind also die besondere Beurkundungshandlung sowie der Status und die Qualität der Urkundsperson.

1. Behörde oder mit öffentlichem Glauben versehene Urkundsperson.

 

Rn 11

Ein Schriftstück kann nur dann als öffentliche Urkunde, ein elektronisches Dokument (§ 371a II) nur dann als öffentliches elektronisches Dokument qualifiziert werden, wenn es von einer Stelle herrührt, die mit der aus der staatlichen Hoheitsgewalt abgeleiteten Urkundsgewalt ausgestattet ist. Entscheidend ist, dass die beurkundende Stelle berufen ist, unter öffentlicher Autorität staatliche Zwecke zu verfolgen (BGHZ 25, 186, 188 f; St/J/Berger § 415 Rz 3, 4).

a) Öffentliche Behörden.

 

Rn 12

Der BGH hat den Begriff der Behörde iSd Urkundenbeweisrechts in einer zu § 29 GBO ergangenen Entscheidung wie folgt definiert: ›Eine öffentliche Behörde ist ein in den allgemeinen Organismus der Behörden eingefügtes Organ der Staatsgewalt, das dazu berufen ist, unter öffentlicher Autorität für die Erreichung der Zwecke des Staates oder der von ihm geförderten Zwecke tätig zu sein, wobei es für den Begriff der Behörde nicht wesentlich ist, ob die ihr übertragenen Befugnisse Ausübung obrigkeitlicher Gewalt sind oder nicht‹; ebenso wenig spielt es hiernach eine Rolle, ob das Organ unmittelbar vom Staate oder von einer dem Staate untergeordneten Körperschaft zunächst für deren eigene Zwecke bestellt ist (BGHZ 25, 186, 188f). Öffentliche Behörden, deren Funktion Ausfluss der Staatsgewalt ist und in deren Zuständigkeitsbereich demzufolge öffentliche Urkunden errichtet werden können, sind insb inländische (BayObLG 97, 90 = NJW-RR 97, 1015, 1016 [BSG 13.08.1996 - 10 RKg 8/95]; KG MDR 82, 329, 330) und ausländische Gerichte (BGH NJW-RR 07, 1006 [BGH 16.01.2007 - VIII ZR 82/06]), Behörden des Bundes, der Länder, der Gemeinden und Gemeindeverbände (Gemeinderat: BGH NVwZ-RR 15, 630, 632), ausländische Behörden (BGH NJW 13, 387, 388 zu Art 6 HZÜ; BVerwG NJW 87, 1159; Zweibr FamRZ 04, 729), Anstalten und Körperschaften des öffentlichen Rechts wie etwa die Berufsvertretungen (BGH LM Nr 1 zu § 415) oder kirchliche Behörden.

b) Mit öffentlichem Glauben versehene Personen.

 

Rn 13

Mit öffentlichem Glauben versehene Personen sind insb Notare, die für die Beurkundung von Rechtsvorgängen auf dem Gebiet der vorsorgenden Rechtspflege (s § 1 BNotO) sowie für eine Reihe von Aufgaben auf dem Gebiet des Zivilprozessrechts mit Urkundsgewalt ausgestattet sind. Urkundspersonen sind darüber hinaus alle Personen, denen kraft Gesetzes bestimmte Beurkundungskompetenzen zugewiesen sind, wie bspw Konsuln, Urkundsbeamte der Geschäftsstelle, Gerichtsvollzieher (Köln NJW-RR 86, 863 [OLG Köln 23.04.1986 - 2 W 67/86]), Standesbeamte oder die Urkundspersonen des Jugendamtes (s § 59 I SGB VIII), nicht dagegen Dolmetscher (KG FGPrax 2011, 168 [KG Berlin 29.03.2011 - 1 W 415/10]). Rechtsanwälte üben keine hoheitliche Funktion...

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