Rn 1

Die nach Art 20 III GG an Recht und Gesetz gebundene Rspr ist nach Art 92 GG den Richtern anvertraut. Ein genaues Hinhören auf diese Verfassungsbestimmung zeigt, dass das Grundgesetz Vertrauen beim Richter lässt, also nicht nur auf seine Gesetzesbindung, sondern ebenso auf seine Gewissenhaftigkeit, Unbefangenheit und Unparteilichkeit baut (P. Kirchhof NJW 86, 2275f). Eine wesentliche Grundlage einer als integer empfundenen Rspr ist demnach, dass dem Richter bei der Ausübung seines Amtes Vertrauen entgegengebracht werden kann. Dieses Vertrauen kann in einem Prozess, in welchem die Parteien um ›ihr‹ Recht streiten, nur dann bestehen, wenn diese sicher sein können, dass der Richter, der als nichtbeteiligter Dritter in diesem Verhältnis ›Recht spricht‹, im konkreten Rechtsstreit neutral, unvoreingenommen, unparteilich, objektiv, eben ›unbefangen‹ urteilen kann (MüKoZPO/Stackmann § 41 Rz 1; Musielak/Voit/Heinrich § 41 Rz 1). Der Streit, ob dieser Anspruch des einzelnen Rechtssuchenden auf den neutralen Richter verfassungsrechtlich aus dem Gleichheitsgebot des Art 3 Abs 1 GG herzuleiten ist (P. Kirchhof NJW 86, 2275f), oder sich aus den Gedanken der als grundrechtsähnlich gewerteten Art 20 III und 92 GG speist (Wieczorek/Schütze/Niemann vor § 41 Rz 2; MüKoZPO/Stackmann § 41 Rz 2), kann auf sich beruhen, der Gesetzgeber hat jedenfalls diese Neutralität zu gewährleisten (BVerfG NVwZ-RR 10, 545 [BVerfG 06.05.2010 - 1 BvR 96/10]; BVerfGE 21, 139, 146 = NJW 67, 1123, 1124 [BVerfG 08.02.1967 - 2 BvR 235/64]; NJW 05, 3411 [BVerfG 02.06.2005 - 2 BvR 625/01]; v. Münch/Kunig/Meyer Art 92 Rz 9; Wieczorek/Schütze/Niemann vor § 41 Rz 2). Dieser Gewährleistungspflicht kommt er grundgesetzlich durch zwei untrennbar miteinander verknüpften Grundsätzen nach, dem Recht auf den gesetzlichen Richter und dessen Unparteilichkeit (BVerfG NJW-RR 21, 1436 [BVerfG 05.05.2021 - 1 BvR 526/19]; BVerfGE 4, 412, 416 [BVerfG 20.03.1956 - 1 BvR 479/55]).

 

Rn 2

Mit dem gem Art 101 I 2 GG garantierten Recht auf den gesetzlichen Richter soll der Gefahr begegnet werden, dass die Justiz durch Manipulation der rechtsprechenden Organe sachfremden Einflüssen ausgesetzt wird und durch die auf den Einzelfall bezogene Auswahl der zur Entscheidung berufenen Richter deren Erg beeinflusst werden kann (BVerfGE 82, 286, 296). Der Möglichkeit der Manipulation wird generell schon durch Art 97 II und 101 I 1 GG vorgebeugt. Die Bestimmung des gesetzlichen Richters, der nach den Vorschriften des DRiG als solcher eingesetzt wird, erfolgt im Einzelfall nach den Zuständigkeitsregelungen des GVG und den besonderen Verfahrensordnungen (Wieczorek/Schütze/Niemann vor § 41 Rz 1) in Verbindung mit der bei jedem Gericht durch sein Präsidium gem § 21e GVG vorzunehmenden Geschäftsverteilung.

 

Rn 3

Der zweite Grundsatz zur Gewährleistung der Neutralität, die durch Art 97 I GG garantierte Unabhängigkeit des so bestimmten gesetzlichen Richters, soll ihn der Möglichkeit anderer Einflussnahmen entziehen. Er ist deswegen nur dem Gesetz unterworfen. Diesen Grundsätzen ist der einzelne Richter durch seinen gem § 38 DRiG öffentlich zu leistenden Eid verpflichtet (MüKoZPO/Stackmann § 41 Rz 2).

 

Rn 4

Die verfassungsrechtlich verankerte Stellung des gesetzlichen Richters bedarf jedoch der Korrektur, wenn Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass das Vertrauen in seine Integrität in einer konkreten Verfahrenssituation zweifelhaft ist. Nur der im notwendigen Abstand zum streitigen Interesse objektiv entscheidende Richter kann gesetzlicher Richter iSd Art 101 I 1 GG sein. Ist das Vertrauen in die Neutralität nicht gewährleistet, droht der darauf gerichtete Anspruch ins Leere zu laufen. Dieser als Grundrecht ausgestaltete Anspruch gebietet es, den an sich als gesetzlich berufenen Richter an der Ausübung seines Amtes in diesem Einzelfall zu hindern. Um aber – spiegelbildlich zur Berufung des gesetzlichen Richters – Manipulationen auch bei seiner möglichen Hinderung vorzubeugen, bedarf es wg der verfassungsrechtlich gebotenen Transparenz auch für diesen Fall gesetzlicher Regelungen. Diese Regeln sind Inhalt der Vorschriften über die Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen.

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