Rn 1

Der Rechtsbehelf des § 321a (›Anhörungsrüge, ›Gehörsrüge‹) dient der Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 GG), indem er nach Erlass und Bekanntgabe der Entscheidung, ggf auch nach Eintritt der formellen Rechtskraft, eine Fortführung des Verfahrens vor dem iudex a quo ermöglicht. Die Gehörsrüge ist als außerordentlicher Rechtsbehelf, der die Rechtskraft nicht hemmt, ggü anderen Rechtsbehelfen und Rechtsmitteln subsidiär (Rn 3). Er ergänzt § 156, der eine Wiedereröffnung der Verhandlung vor der Verkündung der Entscheidung ermöglicht. § 321a soll eine Möglichkeit zur Selbstkorrektur von Entscheidungen schaffen, die ein Gericht unter Verletzung des rechtlichen Gehörs einer Partei getroffen hat, und dadurch zugleich das BVerfG von Verfassungsbeschwerden entlasten, die auf Gehörsverletzungen gestützt werden (BGH WRP 08, 956 f [BGH 13.12.2007 - I ZR 47/06] Rz 5). Ohne einen Rechtsbehelf müsste das BVerfG häufig auf Verfassungsbeschwerde abhelfen, obwohl grundlegende verfassungsrechtliche Fragen nicht zu entscheiden sind. Indessen geht § 321a nach Auffassung des BGH nicht über den verfassungsrechtlich gebotenen Mindestschutz hinaus (Rn 6: BGH WRP 08, 956 [BGH 13.12.2007 - I ZR 47/06] Rz 4, str). § 321a ist zugleich Ausdruck von Art 6 EMRK und Art 47 GrCh. Wenn eine beschwerte Partei es versäumt, die Anhörungsrüge fristgerecht geltend zu machen, ist eine auf die Verletzung des Rechts aus Art 103 I GG gestützte Verfassungsbeschwerde unzulässig (BGH NJW 15, 3234, 3228 [BGH 16.04.2015 - I ZB 3/14] Rz 33). Die Anhörungsrüge wird bei der Verletzung anderer Verfahrensgrundrechte und Garantien nicht entsprechend angewandt (Dresd BeckRS 15, 05983 Rz 11).

§ 321a war in seiner aF ein Ergebnis des ZPO-Reformgesetzes von 2001 und zunächst auf unanfechtbare Urteile in 1. Instanz begrenzt worden. Die Rspr hatte die Gehörsrüge zT auf unanfechtbare Entscheidungen höherer Instanzen erstreckt (Frankf NJW 05, 517; Celle NJW 03, 906f [OLG Celle 04.12.2002 - 13 U 77/02]). Das BVerfG hat in einem Plenarbeschluss entschieden, dass nach Maßgabe des Justizgewährungsanspruchs (Einl Rn 46) eine Überprüfung bei Verletzungen des rechtlichen Gehörs in allen Fachgerichtsbarkeiten und in jeder Instanz gewährleistet sein müsse. Durch das Anhörungsrügengesetz vom 9.12.04 hat der Gesetzgeber daher § 321a auf Entscheidungen gleich welcher Instanz erweitert (obwohl § 321a systematisch weiterhin den Regeln zum ›Verfahren im ersten Rechtszug‹ zugehört, Anders/Gehle/Hunke ZPO Rz 4) (vgl exemplarisch BGH NJW 06, 3786 [BGH 19.09.2006 - X ZR 178/04]: Anhörungsrüge beim BGH). In anderen Verfahrensordnungen sind entsprechende Rechtsbehelfe installiert worden (Rn 19). Zur intertemporalen Anwendung BGH NJW 05, 1432 [BGH 24.02.2005 - III ZR 263/04]: § 321a nF gilt für die vor dem 1.1.05 ergangenen und rechtskräftig gewordenen Entscheidungen, wenn zum Stichtag die Fristen des Abs 2 noch nicht abgelaufen waren.

In der Praxis sind erfolgreiche Rügen selten (Hommerich/Prütting et al, 126 ff, 273). Das mag auf sorgfältigen Umgang der Gerichte mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör schließen lassen (so St/J/Althammer Rz 5; krit zB Sangmeister NJW 07, 2363 [BGH 19.09.2006 - X ZR 178/04]: ›Missgeburt‹). Allerdings verlangt § 321a von dem entscheidenden Gericht die Einsicht, dass es fehlerhaft gehandelt hat. Die Ausrichtung auf den iudex a quo kann durchaus ein Anlass für rechtspolitische Kritik sein (zB Kroppenberg ZZP 116, 421, 437 f: va bei Willkür; Rensen JZ 05, 196, 197 [VerfG Brandenburg 27.05.2004 - VfGBbg 23/04]; Huber JuS 05, 109, 111). Die Anreizstruktur entspricht aber dem Charakter eines jeden Selbstkontrollinstruments. Allein, es darf sich das Gericht dem Eingeständnis eigener Versäumnisse nicht reflexartig verschließen.

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