Rn 8

Zum Problemkomplex: Jauernig NJW 86, 117. Vor Verkündung oder Zustellung kann das Urt mangels Existenz noch nicht angegriffen werden (RGZ 161, 61, 63). Bei der Verlegung des VT und dem unangemessenen Hinausschieben der Frist des Abs 1 S 2 handelt es sich um einen Verfahrensfehler, der eine sofortige Beschwerde nach § 252 begründen kann (Anders/Gehle/Hunke ZPO Rz 8); ein Rechtsmittel gegen die spätere Sachentscheidung wird meist an der Kausalität scheitern.

Eine fehlerhafte Verkündung unter Verstoß gegen Abs 1–3 berührt idR die Wirksamkeit des Urteils und seiner Verkündung nicht (oben Rn 5, 3); das Urt ist daher rechtsmittelfähig und wegen eines Verfahrensfehlers anfechtbar, wenn das Urt darauf beruht, woran es meist fehlt (BGH NJW 04, 2019, 2020 [BGH 12.03.2004 - V ZR 37/03]). Verkündungsmängel stehen der Wirksamkeit nur entgegen, wenn gegen elementare, zum Wesen der Verlautbarung gehörende Formerfordernisse verstoßen wurde, so dass von einer Verlautbarung im Rechtssinne nicht mehr gesprochen werden kann (BGH NJW 14, 1304 [BGH 24.09.2013 - I ZR 133/12] Rz 11; 27.10.16, V ZB 50/16 Rz 5; NJW-RR 18, 127 Rz 7; verneint auch bei Frankf 25.8.17 – 4 UF 146/15). Zu den Mindestanforderungen gehört, dass die Verlautbarung von dem Gericht beabsichtigt war oder von den Parteien derart verstanden werden durfte und die Parteien von Erlass und Inhalt der Entscheidung förmlich unterrichtet wurden (BGH NJW 12, 1591, 1592 [BGH 08.02.2012 - XII ZB 165/11] Rz 13; NJW-RR 18, 127 [BGH 05.12.2017 - VIII ZR 204/16] Rz 7). Ist jedoch die Protokollierung der Verkündung unterblieben, kann die Existenz des Urteils zunächst wegen § 165 nicht bewiesen werden (oben Rn 3; Brandbg MDR 99, 563, 564; NJW-RR 02, 356, 357); fehlt die Unterschrift unter dem Protokoll, ist Nachholung jedoch möglich (BGH NJW 58, 1237; einschr NJW 11, 1741 [BGH 13.04.2011 - XII ZR 131/09], dazu oben Rn 4). Wird bei der Verkündung eines Urteils in dem Termin, in dem die mündliche Verhandlung geschlossen worden ist, versehentlich ein von einer Partei geltend gemachter Haupt- oder Nebenanspruch übergangen, kann dieser Mangel wegen § 165 nicht durch eine Protokollberichtigung nach § 164, sondern nur im Wege einer Urteilsergänzung gem. § 321 behoben werden (BGH NJW 14, 1304 Rz 16 ff). Sind die Voraussetzungen für die Verkündung oder Zustellung jedoch nicht einmal im Ansatz gewahrt, so ist das Urt nicht aus dem Entwurfsstadium hinausgekommen, so beim Fehlen einer schriftlich abgefassten Urteilsformel bei der Verkündung (VersR 85, 45, 46; R/S/G § 62 Rz 14), beim formlosen Übersenden oder bei einem nur mündlich außerhalb des VT mitgeteiltem Urt (BGH NJW 64, 248; Frankf OLGZ 91, 252, 253); gleichwohl kommt eine Anfechtung der an sich nicht existenten Entscheidung in Betracht, wenn dies notwendig ist, um den Anschein des Urteils zu beseitigen (BGH VersR 84, 1192, 1193; Zö/Feskorn Rz 7). Versehentliche Zustellung eines Urteilsentwurfs ist keine Verkündung; daher uU kein Rechtsmittel statthaft (BayVerfGH BayVbl 09, 55). Zur Anfechtbarkeit bei nicht ordnungsgemäßer Bekanntgabe des Verkündungstermins soeben Rn 6; in der Revisionsinstanz ist dies Revisionsgrund nach §§ 545, 551 III 2b).

Wird ein Urt fälschlicherweise zugestellt statt verkündet, liegt ein wirksames Urt vor, wenn die Zustellung erkennbar wie die Verkündung wirken sollte (BGH NJW 04, 2019, 2020 [BGH 12.03.2004 - V ZR 37/03]; BeckRS 16, 20153; Musielak/Musielak Rz 10); daher liegt noch kein existentes Urt vor, wenn die Zustellung in dem Glauben an eine vorangegangene Verkündung bewirkt wird (BGH VersR 84, 1192, 1193; Frankf NJW-RR 95, 511). Überhaupt ist von einem Nichturteil, das allenfalls den Schein eines wirksamen Urteils begründet (Scheinurteil), auszugehen, wenn das Gericht den Urteilsausspruch gar nicht mit hoheitlicher Autorität nach außen tragen wollte (ähnl St/J/Leipold, 22. Aufl., Rz 5); in den übrigen – überwiegenden – Fällen liegt ein einfacher Verfahrensfehler vor, sodass das Rechtsmittelverfahren nur dann zur Aufhebung und ggf Zurückverweisung der Sache zu führen vermag, wenn das Urt auf dem Fehler beruhen kann (§ 538 Rn 15).

 

Rn 9

Einzelfälle: Ein Verstoß gegen die Öffentlichkeit der Verkündung (§ 173 GVG) begründet einen absoluten Revisionsgrund iSd § 547 Nr 5; macht die Verkündung und damit auch einen auf das Urt bezogenen Rechtsmittelverzicht aber nicht unwirksam (Hamm FamRZ 95, 943, 945) das Revisionsgericht kann aber die Verkündung entsprechend § 563 III ohne Rückwirkung selbst vornehmen. Wenn ein Einzelrichter bei der Zivilkammer ein von der Kammer gefälltes Urt verkündet, führt dies nicht zur ›Nichtigkeit‹ des Urteils, sondern begründet einen minder schweren Verfahrensverstoß, da die Verkündung nur ein formaler Akt der Verlautbarung des nach § 315 von allen Richtern unterschriebenen Urteils ist (Ddorf WM 07, 889). Ebenfalls keine Nichtigkeit bei Verkündung eines Urteils durch eine andere Kammer: BGHZ 41, 249, 253 = NJW 64, 1568, 1570. Auch die Verkündung eines Urteils des Einzelrichters durch die...

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