Rn 7

Soweit sich keine der Parteien auf die offenkundige Tatsache berufen hat, muss das Gericht sie zur Gewährung des rechtlichen Gehörs (Art 103 I GG) zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung machen (BVerfGE 10, 177, 183 [BVerfG 03.11.1959 - 1 BvR 13/59]; MDR 20, 1524 [BVerfG 17.09.2020 - 2 BvR 1605/16] Rz 15; BGH NJW-RR 93, 1122, 1123). Eine Ausnahme ist in engen Grenzen nur dann anzuerkennen, wenn absolute Klarheit darüber besteht, dass sowohl dem Gericht als auch beiden Parteien die Offenkundigkeit der betreffenden ohne weiteres bewusst ist (BGHZ 31, 43, 45 = NJW 59, 2213, 2214; BGH MDR 22, 450 = Bespr Schwenker MDR 22, 685). Die Entscheidung über die Offenkundigkeit einer Tatsache trifft das Kollegium ggf durch Mehrheitsbeschluss (BGH VersR 60, 511). In den Entscheidungsgründen muss angegeben werden, woraus sich die Offenkundigkeit ergeben soll (BGH NJW 21, 1669, 1672 [BGH 08.03.2021 - VI ZR 505/19] Rz 31). Die Feststellung der Offenkundigkeit gilt nur immer für die jeweilige Instanz. Das Berufungsgericht muss deshalb die Offenkundigkeit stets in eigener Zuständigkeit beurteilen und ist nicht an die Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts gebunden (MüKoZPO/Prütting Rz 16; einschränkend im Hinblick auf § 529 I 1 St/J/Thole Rz 19). Dagegen ist das Revisionsgericht an die Feststellung der Offenkundigkeit durch das Berufungsgericht gebunden (§ 559 II). Es kann aber nachprüfen, ob der Tatrichter die Begriffe ›allgemeinkundig‹ und ›gerichtskundig‹ verkannt und den Parteien ausreichend rechtliches Gehör gewährt hat. Soweit es sich um Umstände handelt, die vAw zu berücksichtigen sind, kann das Revisionsgericht die Offenkundigkeit ausnahmsweise auch selbst beurteilen, ohne an die Wertung der Tatsacheninstanz gebunden zu sein (BAGE 87, 234, 240 f = NZA 98, 661, 663 [BAG 09.12.1997 - 1 AZR 319/97]).

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