Rn 19

Dies ist stets der Fall, wenn eine Geisteserkrankung vorliegt, die zum Eintritt der Geschäftsunfähigkeit einer Partei führt (BGH NJW 87, 440: für die Dauer der Geschäftsunfähigkeit bzw bis zur Bestellung eines gesetzlichen Vertreters). Bei einer schwerwiegenden Erkrankung kommt es darauf an, ob die mit ihr verbundenen Einschränkungen die Partei daran hindern, einen Rechtsanwalt zu beauftragen oder diesen sachgemäß zu unterrichten (BGH NJW-RR 94, 957; VersR 89, 931). Bei einer länger andauernden Erkrankung sind für den Fall einer absehbaren Verschlechterung des Gesundheitszustandes Vorkehrungen zu treffen (vgl MüKo/Stackmann Rz 55). Zu beachten ist bei einer Erkrankung die Frage der Kausalität: Fällt das Hindernis in Form der Erkrankung weg, so dass die Fristwahrung noch möglich gewesen wäre, liegt auch dann kein Wiedereinsetzungsgrund vor, wenn die Überlegungszeit für die Partei kürzer ist. Die Wiedereinsetzung dient nicht dazu, der Partei in jedem Fall die volle Frist zu Verfügung zu stellen. Bei einer Infektion mit dem Corona-Virus ist für die Frage der schuldlosen Fristversäumung auf den konkreten Einzelfall abzustellen (auf der Heiden NJW 20, 1023, 1027; Gehrlein FuR 20, 264, 266). Bei einem milden Verlauf der Erkrankung und einer nur häuslichen Quarantäne – etwa auch wegen eines bloßen Corona-Verdachts –, ist zu prüfen, ob die Partei ihre Belange wahrnehmen konnte. Telefonische Kontaktaufnahmen und die Übermittlung von Schriftstücken an ihren Anwalt per E-Mail können hier durchaus ausreichend sein. Ebenso, wenn sie eine andere Person mit der sachgerechten Wahrnehmung ihrer Belange beauftragen hätte können. In Betracht zu ziehen ist, dass durch eine (auch nur vermeintliche) Infektion bei einer entspr veranlagten Person psychisch ein Ausnahmezustand eintreten kann, der eine sachgerechte Interessenwahrnehmung unmöglich macht. Auch dies stellt einen Wiedereinsetzungsgrund dar (vgl dazu BGH NJW-RR 94, 957; JurBüro 07, 615). Eine solche psychische Ausnahmesituation kann allerdings nicht einfach zugrunde gelegt, sondern muss durch ein ärztliches Attest glaubhaft macht gemacht werden (Rauscher CoVuR 20, 2, 9). Ob die Betroffenheit durch die unerwartete Nachricht von dem Tod eines Freundes oder eines Angehörigen zur Schuldlosigkeit der Fristversäumung führt, ist vom Einzelfall abhängig (vgl BGH NJW-RR 16, 1022). Eine akute Erkrankung eines nahen Angehörigen, insb kurz vor Fristablauf kann eine Schuldlosigkeit begründen (BayOLG NJW-RR 01, 1648: vorzeitige Wehen der Ehefrau; VersR 85, 47: Nierenkolik des Schwagers).

 

Rn 19a

Die Abwesenheit einer Partei ist schuldlos, wenn sie nicht mit einer Zustellung rechnen musste; bei einem laufenden Verfahren deshalb nur dann, wenn sie ausreichende Vorkehrungen getroffen hat, dass sie rechtzeitig und zuverlässig Kenntnis erhält (ausreichend: Beauftragung 16-jähriger Tochter BGH NJW-RR 02, 137 [BGH 06.06.2001 - VIII ZB 8/01]). Bei unvorhergesehenen Ereignissen (unerwartete Dienstreise) kommt es auf den Einzelfall an. War die Partei an der Rückkehr von einer Reise in unvorhersehbarer Weise zwangsweise – zu denken ist hier an Reisebeschränkungen infolge der Corona-Pandemie – gehindert, wird die Abwesenheit unverschuldet sein, wenn sie bei plangemäßer Rückkehr rechtzeitig auf die absehbare Zustellung einer Entscheidung in einem laufenden Verfahren hätte reagieren können (vgl Rauscher CoVuR 20, 2, 9; Gehrlein FuR 20, 264, 266). Ist es infolge der Corona-Pandemie zu Verzögerungen bei der Postzustellung gekommen, gilt der Grundsatz, dass auf die üblichen Postlaufzeiten vertraut werden durfte (Gehrlein FuR 20, 264, 266; Rauscher CoVuR 20, 2, 9). Etwas anderes gilt dann, wenn Verzögerungen angekündigt oder aus allgemein zugänglichen Quellen bekannt geworden sind (vgl BGH MDR 16, 1406 [BGH 12.05.2016 - V ZB 135/15]; NJW 16, 2750 [BGH 18.02.2016 - V ZB 126/15] zum Poststreik). Verlust von Schriftstücken ist unverschuldet, wenn er außerhalb des Verantwortungsbereichs der Partei geschieht (zB auf dem Postweg).

 

Rn 19b

Eine Fristversäumung kann schuldlos gewesen sein, wenn die Partei durch die Einschränkungen wegen der Corona-Pandemie nicht in der Lage war, einen zur Vertretung bereiten Rechtsanwalt zu finden. Zur Glaubhaftmachung sind die Bemühungen im Einzelnen darzulegen und die Absagen der Rechtsanwälte vorzulegen, wobei bei höherer Anwaltsdichte in der Region eine höhere Zahl von Anwälten kontaktiert worden sein muss (Klose NJ 20, 191, 193).

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