Rn 16

Da es sich bei den beiden genannten Fallkonstellationen um eher seltene Extremfälle handeln dürfte, kommt der dritten in der verfassungsgerichtlichen Rspr aufgezeigten Fallkonstellation der ›unvertretbaren Überschreitung des Beurteilungsrahmens‹ bei ›unvollständiger Rspr‹ in der Praxis die wesentliche Bedeutung zu. Sie kennzeichnet die Fälle, in denen Rspr des EuGH für die Beantwortung einer in dem Rechtsstreit entscheidungserheblichen Frage des Gemeinschaftsrechts noch nicht oder nicht hinreichend vorliegt oder eine Fortentwicklung seiner Rspr nicht nur eine ›entfernte Möglichkeit‹ darstellt, und das letztinstanzliche (nationale) Hauptsachegericht den ihm in diesen Fällen einzuräumenden Beurteilungsrahmen ›in unvertretbarer Weise überschritten‹ hat. Das kann insb dann zu bejahen sein, wenn veröffentlichte Gegenauffassungen zu der Meinung des (nationalen) Gerichts ›eindeutig vorzuziehen‹ sind (dazu BVerfGE 82, 159, 195; NVwZ 07, 197 [BVerfG 06.12.2006 - 1 BvR 2085/03], Vergaberecht/DB-Regio/ÖPNV, NVwZ 08, 780 [BVerfG 20.02.2008 - 1 BvR 2722/06], Flughafenneubau Berlin-Schönefeld; zur Darlegungslast des Betroffenen BVerfG Beschl v 23.10.07 – 2 BvR 2090/05). Die Fachgerichte müssen in der Begründung für die Ablehnung einer Vorlage aufzeigen, dass sie sich hinsichtlich des europäischen Rechts ausreichend kundig gemacht haben, um eine Kontrolle am Maßstab des Art 101 I 2 GG zu ermöglichen (BVerfG NJW 11, 1131; 10, 1268; ZIP 12, 1876). Für die Beurteilung am Maßstab des Art 101 I 2 GG kommt es dabei nicht auf die Vertretbarkeit der Auslegung des für den Streitfall maßgeblichen materiellen Unionsrechts an, sondern auf die Vertretbarkeit der Handhabung der Vorlagepflicht nach Art 267 III AEUV (BVerfG ZIP 13, 924).

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