Gesetzestext

 

(1) 1Die deutschen Gerichte sind außer in Verfahren nach § 151 Nr. 7 zuständig, wenn das Kind

1. Deutscher ist oder
2. seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat.

2Die deutschen Gerichte sind ferner zuständig, soweit das Kind der Fürsorge durch ein deutsches Gericht bedarf.

(2) Sind für die Anordnung einer Vormundschaft sowohl die deutschen Gerichte als auch die Gerichte eines anderen Staates zuständig und ist die Vormundschaft in dem anderen Staat anhängig, kann die Anordnung der Vormundschaft im Inland unterbleiben, wenn dies im Interesse des Mündels liegt.

(3) 1Sind für die Anordnung einer Vormundschaft sowohl die deutschen Gerichte als auch die Gerichte eines anderen Staates zuständig und besteht die Vormundschaft im Inland, kann das Gericht, bei dem die Vormundschaft anhängig ist, sie an den Staat, dessen Gerichte für die Anordnung der Vormundschaft zuständig sind, abgeben, wenn dies im Interesse des Mündels liegt, der Vormund seine Zustimmung erteilt und dieser Staat sich zur Übernahme bereit erklärt. 2Verweigert der Vormund oder, wenn mehrere Vormünder die Vormundschaft gemeinschaftlich führen, einer von ihnen seine Zustimmung, so entscheidet anstelle des Gerichts, bei dem die Vormundschaft anhängig ist, das im Rechtszug übergeordnete Gericht. 3Der Beschluss ist nicht anfechtbar.

(4) Die Absätze 2 und 3 gelten entsprechend für Verfahren nach § 151 Nr. 5 und 6.

A. Anwendungsbereich.

 

Rn 1

§ 99 regelt die internationale Zuständigkeit in Kindschaftssachen.

I. Vorrangige Rechtsakte.

 

Rn 2

Als vorrangiger Staatsvertrag (§ 97 I 1) beachtlich ist das KSÜ. Es regelt die Zuständigkeit für sorgerechtliche Maßnahmen zum Schutz v Kindern mit gewöhnl Aufenthalt in einem Vertragsstaat in Art 5 ff KSÜ abschließend (Karlsr NJW-RR 15, 1415 [OLG Nürnberg 12.06.2015 - 10 UF 272/15]; MüKoFamFG/Rauscher Rz 32). Primäres Anknüpfungsmoment ist der gewöhnl Aufenthalt des Kindes (detailliert Schulz FamRZ 11, 156, 157 ff). Die den Rückgriff auf das autonome IZVR ausschließenden (BGHZ 151, 63) Zuständigkeiten nach Art 1 ff MSA knüpfen ebf primär an den Aufenthalt des Minderjährigen an. Das HKÜ normiert nur eine internationale Zuständigkeit für Rückgabeanträge (Art 8 I HKÜ), nicht aber für Sorgerechtsentscheidungen (MüKoFamFG/Rauscher Rz 8).

 

Rn 3

Europarechtlich vorrangig (§ 97 I 2) ist die Brüssel IIb-VO/Brüssel IIa-VO für Verfahren betr die elterliche Verantwortung (Art. 1 I lit b, II Brüssel IIb-VO/Art 1 I lit b, II Brüssel IIa-VO). Die Zuständigkeitsvorschriften in Art 7 ff Brüssel IIb-VO/Art 8 ff Brüssel IIa-VO knüpfen primär an den gewöhnl Aufenthalt des Kindes an; Sonderzuständigkeiten bestehen für Kindesentführungen (Art 9 Brüssel IIb-VO/Art 10 f Brüssel IIa-VO, erg zum HKÜ), bei Zuständigkeitsvereinbarungen insb bei Geltendmachung im Verbund (Art 10 Brüssel IIb-VO/Art 12 Brüssel IIa-VO) sowie für Kinder ohne feststellbaren gewöhnl Aufenthalt (Art 11 Brüssel IIb-VO/Art 13 Brüssel IIa-VO). Nur wenn sich daraus keine internationale Zuständigkeit eines Brüssel-IIb/IIa-MS ergibt, ist der Rückgriff auf autonomes IZVR zulässig (Restzuständigkeit, Art 14 Brüssel IIb-VO/Art 14 Brüssel IIa-VO). Für einstw Maßnahmen gilt Art 15 Brüssel IIb-VO/Art 20 Brüssel IIa-VO.

II. Autonomes Recht.

 

Rn 4

Im Anwendungsbereich des § 99 verbleiben damit Kindschaftssachen iSd § 151 Nr 1–6, wenn das Kind seinen gewöhnl Aufenthalt in einem Staat hat, der weder Brüssel IIb-VO/Brüssel IIa-VO noch KSÜ/MSA angehört (zB USA, Bremen FamRZ 16, 1189, 1190). Auch die Vollstreckung von Umgangsentscheidungen kann erfasst sein (BGH FamRZ 15, 2147), insb enthalten weder Brüssel IIb-VO/Brüssel IIa-VO noch KSÜ hierzu vorrangige Bestimmungen (BGH FamRZ 20, 272; krit Bach/Tippner IPRax 20, 547). Die Eigenschaft als ›minderjährig‹ ist nach dem von Art 7 EGBGB berufenen Recht zu beurteilen (BGHZ 217, 165 Rz 14; MüKoFamFG/Rauscher Rz 3 – aA Haußleiter/Gomille Rz 2: § 2 BGB).

B. Zuständigkeitsregeln.

I. Alternative Zuständigkeiten.

 

Rn 5

I 1 bietet entspr § 35b I FGG aF iVm §§ 43 I, 64 III, 70 IV FGG aF zwei alternative Anknüpfungen für die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte. Anknüpfungsperson ist das betroffene Kind. Nach Nr 1 wirkt dessen deutsche Staatsangehörigkeit zuständigkeitsbegründend (sog Heimatzuständigkeit, vgl § 98 Rn 6), wobei es nicht auf deren Effektivität ankommt (zum MSA BGH NJW 97, 3024). Nr 2 begründet eine Aufenthaltszuständigkeit bei gewöhnl Aufenthalt in Deutschland (vgl § 98 Rn 7; zu rechtswidrigen Aufenthaltsveränderungen MüKoFamFG/Rauscher Rz 40 ff). Ausgenommen sind Verfahren betr die freiheitsentziehende Unterbringung Minderjähriger (§ 151 Nr 7), diese unterliegen § 105.

II. Fürsorgezuständigkeit.

 

Rn 6

Nach I 2 wird (entspr § 35b II FGG aF) die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte auch durch ein Fürsorgebedürfnis betr Person oder Vermögen des Kindes begründet. Es liegt idR vor bei asylsuchenden Kindern ohne Sorgeberechtigte im Inland oder bei Anwendbarkeit deutschen Rechts (Keidel/Dimmler Rz 52).

III. Konkurrierende Zuständigkeit.

 

Rn 7

In Fortführung des § 47 FGG aF iVm § 70 IV FGG aF koordinieren II–IV die parallele Zuständigkeit deutscher und ausländischer Gerichte, insb bei deutschen Kindern mit gewöhnl Aufenth...

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