Gesetzestext

 

(1) Beauftragt ein Gericht eine unmittelbare Beweisaufnahme in einem anderen Mitgliedstaat, so richtet es an die Zentralstelle oder zuständige Behörde dieses Mitgliedsstaats unter Verwendung des Formblatts L in Anhang I ein entsprechendes Ersuchen.

(2) Die unmittelbare Beweisaufnahme ist nur statthaft, wenn sie freiwillig und ohne Einsatz von Zwangsmaßnahmen durchgeführt werden kann.

Macht die unmittelbare Beweisaufnahme die Vernehmung einer Person erforderlich, so teilt das ersuchende Gericht dieser Person mit, dass die Vernehmung auf freiwilliger Grundlage erfolgt.

(3) Die unmittelbare Beweisaufnahme wird von einem Gerichtsangehörigen oder von einer anderen Person wie etwa einem Sachverständigen durchgeführt, der/die nach dem Recht des Mitgliedstaats des ersuchenden Gerichts bestimmt wird.

(4) Innerhalb von 30 Tagen nach Eingang des Ersuchens um unmittelbare Beweisaufnahme teilt die Zentralstelle oder die zuständige Behörde des ersuchten Mitgliedstaats dem ersuchenden Gericht unter Verwendung des Formblatts M in Anhang I mit, ob dem Ersuchen stattgegeben wurde und setzt, soweit erforderlich, das ersuchende Gericht davon in Kenntnis, unter welchen Bedingungen die unmittelbare Beweisaufnahme nach Maßgabe des Rechts ihres Mitgliedstaats durchzuführen ist.

Die Zentralstelle oder die zuständige Behörde kann insbesondere ein Gericht ihres Mitgliedstaats bestimmen, das an der Beweisaufnahme teilnimmt, um sicherzustellen, dass dieser Artikel ordnungsgemäß angewandt wird und die festgelegten Bedingungen eingehalten werden.

(5) Wurde dem ersuchenden Gericht nicht innerhalb von 30 Tagen nach Bestätigung des Eingangs des Ersuchens um unmittelbare Beweisaufnahme mitgeteilt, ob dem Ersuchen stattgegeben wird, so kann es an die Zentralstelle oder zuständige Behörde des ersuchten Mitgliedstaats eine Erinnerung senden. Erhält das ersuchende Gericht innerhalb von 15 Tagen nach Bestätigung des Eingangs dieser Erinnerung keine Antwort, so wird davon ausgegangen, dass dem Ersuchen um unmittelbare Beweisaufnahme stattgegeben wurde. Wenn jedoch aufgrund außergewöhnlicher Umstände die Zentralstelle oder die zuständige Behörde daran gehindert war, auch innerhalb der auf die Erinnerung folgenden Frist auf das Ersuchen zu reagieren, können ausnahmsweise noch nach Ablauf dieser Frist jederzeit bis zum Zeitpunkt der tatsächlichen unmittelbaren Beweisaufnahme Gründe für die Ablehnung der unmittelbaren Beweisaufnahme geltend gemacht werden.

(6) Die Zentralstelle oder die zuständige Behörde des ersuchten Mitgliedstaats kann ein Gericht ihres Mitgliedstaats beauftragen, praktische Unterstützung bei der unmittelbaren Beweisaufnahme zu leisten.

(7) Die Zentralstelle oder die zuständige Stelle kann das Ersuchen um unmittelbare Beweisaufnahme nur ablehnen, wenn

a) es nicht in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fällt,
b) es nicht alle nach Artikel 5 erforderlichen Angaben enthält oder
c) die beantragte unmittelbare Beweisaufnahme wesentlichen Rechtsgrundsätzen ihres Mitgliedstaats zuwiderläuft.

(8) Unbeschadet der nach Absatz 4 festgelegten Bedingungen nimmt das ersuchende Gericht das Ersuchen nach Maßgabe des Rechts seines Mitgliedstaats vor.

 

Rn 1

Die unmittelbare Beweisaufnahme durch das Prozessgericht in einem anderen Mitgliedstaat ist hoheitliches Handeln auf dem Territorium eines fremden Staats und stellt damit einen Eingriff in dessen Souveränität dar, der der Genehmigung durch den betroffenen Staat bedarf. Eine Ausnahme hiervon sieht lediglich Art 21 EuBVO für die Vernehmung eigener Staatsangehöriger durch Bedienstete diplomatischer oder konsularischer Vertretungen vor. Erleichtert werden unmittelbare Beweisaufnahmen, weil die Mitgliedstaaten die Genehmigung nur bei Vorliegen einer der in Abs 5 genannten Ablehnungsgründe verweigern dürfen. Angesichts der Beschränkung auf Fälle, in denen die Beweisperson freiwillig mitwirkt, wäre es sinnvoll, auf das Genehmigungserfordernis insgesamt zu verzichten (krit auch Knöfel EuZW 08, 267, 269).

 

Rn 2

Genehmigungsbedürftig sind allerdings nur solche Maßnahmen, die als ›unmittelbare Beweisaufnahme in einem anderen Mitgliedstaat‹ anzusehen sind. Dies ist insb bei einem bloßem Beweismittelimport durch das Prozessgericht nicht der Fall, wenn kein Zwang ausgeübt und damit auch die Souveränität des anderen Staates nicht berührt ist (s.o. Art 1 Rn 4). Unter Art 19 fällt daher nicht die schriftliche Vernehmung (§ 377 III) einer Person, die sich im Anwendungsbereich der VO aufhält (s Art 1 Rn 4b), wohl aber die Vernehmung einer solchen Person im Wege der Bild- und Tonübertragung (s ausf Art 1 Rn 4 f). Für die Vernehmung im Wege der Videokonferenz findet sich im Europäischen Justizportal unter ein Praxisleitfaden. Dass ein Beweismittel ohne vorherige Genehmigung nach dieser Vorschrift erhoben wurde, hat nicht dessen Unverwertbarkeit zur Folge und begründet allein auch keine Zweifel iSd § 529 I Nr 1 (s.o. Art 1 Rn 9).

 

Rn 3

Für den Antrag auf Genehmigung ist das Formblatt L in Anhang I zu verwenden. Mit...

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