Leitsatz

Selbst bei vorhandenem Kabelanschluss kann das Informationsinteresse und das Interesse an der Ausübung der Religion eines Wohnungseigentümers dazu führen, dass die übrigen Wohnungseigentümer die Anbringung einer Parabolantenne auf dem Dach dulden müssen, wenn eine geringere Beeinträchtigung deren Eigentumsrechte durch eine andere Anbringung, zum Beispiel auf dem Balkon, nicht möglich ist. Bei der erforderlichen Abwägung kommt neben dem Informationsinteresse auch der Freiheit der Religionsausübung und in dessen Rahmen der Ermöglichung der Teilnahme an gottesdienstlichen Handlungen ein besonderer Stellenwert zu, insbesondere wenn die Teilnahme an Gottesdiensten einzelnen Bewohnern nicht möglich ist und Fernsehsender, die regelmäßig gottesdienstliche Handlungen ausstrahlen, nur über Satelliten zu empfangen sind.

 

Fakten:

Die türkischen Antragsteller sind Miteigentümer der Wohnungseigentümergemeinschaft und gehören der alevitischen Glaubensrichtung des Islam an. In einer Eigentümerversammlung beantragten sie eine Parabolantenne anbringen zu dürfen. Nach dem Protokoll dieser Versammlung wurde kein ausdrücklicher Beschluss hierzu gefasst; vielmehr wies die Hausverwaltung mit großer Zustimmung und ohne Einwände darauf hin, dass die Möglichkeit bestehe, einen zusätzlichen Decoder über eine Kabelgesellschaft für ausländische Sender zu besorgen und bisher Satellitenanlagen von den Eigentümern kategorisch abgelehnt wurden, was auch hier zu erfolgen habe. Das OLG München konnte den Rechtsstreit vorliegend nicht abschließend entscheiden, sondern musste diesen an das Instanzgericht zurückverweisen. Es merkte jedoch an, dass aufgrund der besonderen Interessenlage der Antragssteller als Aleviten die Miteigentümer verpflichtet sein können, der Aufstellung an einem möglichst wenig oder geringfügig beeinträchtigenden Ort, zum Beispiel auf dem Balkon ihrer Wohnung, zuzustimmen und die Grundrechte der Antragsteller auf Informations- und Religionsausübungsfreiheit ggü. den Eigentumsrechten der Miteigentümer nach Treu und Glauben abzuwägen seien. Jedenfalls sei die Religionsausübungsfreiheit mitzuberücksichtigen (Art. 4 Abs. 2 GG). Zentrales Element der Ausübung der Religion ist die Teilnahme an gottesdienstlichen Handlungen. Ist eine persönliche Teilnahme nicht unter zumutbaren Voraussetzungen möglich, besteht aber die Möglichkeit der Teilnahme durch moderne Kommunikationsmittel, ist dies in die erforderliche Einzelabwägung miteinzubeziehen. In diesem Zusammenhang können im Übrigen auch deutsche Wohnungseigentümer einen Anspruch auf Duldung der Anbringung einer Parabolantenne haben, wenn ihnen die Teilnahme an Gottesdiensten, zum Beispiel wegen Lebens in der Diaspora oder länger dauernder persönlicher Gebrechlichkeit, nicht möglich ist und Fernsehsender, die regelmäßig gottesdienstliche Handlungen ausstrahlen, nur über Satelliten zu empfangen sind. Zu prüfen ist daher, ob der jeweilige Antragsteller Programme aus seinem Kulturkreis und Gottesdienste seiner Religionsgemeinschaft nur mittels Satellitenempfangsanlage beziehen kann.

 

Link zur Entscheidung

OLG München, Beschluss vom 06.11.2007, 32 Wx 146/07

Fazit:

Nach Auffassung des OLG München können die Wohnungseigentümer im Rahmen des Interessenausgleichs und des ihnen zustehenden Ermessensspielraums die Gestattung der Installation einer Parabolantenne durch Mehrheitsbeschluss davon abhängig machen, dass

  ▹ die Parabolantenne baurechtlich und denkmalschutzrechtlich zulässig ist;
  ▹ die Parabolantenne an einem von ihnen bestimmten unauffälligen, aber technisch geeigneten Ort installiert wird; bei der Auswahl zwischen mehreren gleich geeigneten Standorten steht den Wohnungseigentümern ein verfassungsrechtlich nicht zu beanstandendes Bestimmungsrecht zu, das aber nur dann berücksichtigt werden kann, wenn es tatsächlich ausgeübt wurde. Die Aufstellung darf erhebliche, aber keine unzumutbaren Kosten verursachen, da das Recht auf Information nicht den kostengünstigsten Zugang umfasst;
  ▹ die Installation auf Kosten des betreffenden Wohnungseigentümers durch einen Fachmann erfolgt, um eine Beschädigung oder eine erhöhte Reparaturanfälligkeit des Gemeinschaftseigentums zu vermeiden;
  ▹ der begünstigte Wohnungseigentümer ein etwaiges Haftungsrisiko durch den Nachweis des Abschlusses einer Versicherung abdeckt und Sicherheit für die voraussichtlichen Kosten des Rückbaus der Anlage erbringt.

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