Das Wichtigste in Kürze:

1. Für die Bestellung eines Pflichtverteidigers nach der Generalklausel des § 140 Abs. 2 S. 1 Alt. 3 kommt es darauf an, ob entweder die Sach- oder die Rechtslage schwierig ist.
2. Von besonderer praktischer Bedeutung für die Bestellung wegen Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage sind die Fragen, die mit der Akteneinsicht zusammenhängen.
3. Die Bestellung wird i.d.R. auch geboten sein, wenn in der Beweisführung – auch bei voraussichtlich nur kurzer Beweisaufnahme – oder im Verfahren besondere Probleme und Schwierigkeiten auftreten (können).
4. Auch die (besondere) Verfahrensart kann die Bestellung eines Pflichtverteidigers wegen Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage erfordern.
5. Schwierige Rechtsfragen können ebenfalls eine Beiordnung erforderlich machen.
6. Umfangreicher Verfahrensstoff kann ebenfalls zur Bestellung eines Pflichtverteidigers wegen schwieriger Sachlage führen.
7. Schließlich können auch besondere Umstände in der Person des Beschuldigten/Angeklagten die Bestellung eines Pflichtverteidigers erfordern.
8. Eine Rücknahme der Bestellung nach § 143 Abs. 2 S. 1 wird bei einer schwierigen Sach- und Rechtslage nur selten in Betracht kommen.
 

Rdn 3476

 

Literaturhinweise:

Burhoff, Pflichtverteidiger in Verkehrsstrafsachen, VA 2001, 191

ders., Pflichtverteidigung in straßenverkehrsrechtlichen Mandaten, VA 2012, 34

Dencker, Strafrecht und AIDS – Strafprozesse gegen Sterbende, StV 1992, 125

Fromm, Pflichtverteidigerbeiordnung im Wirtschaftsstrafverfahren wegen Insolvenzverschleppung, NZI 2020, 99

R. Hamm, Notwendige Verteidigung bei behinderten Beschuldigten, NJW 1988, 1820

Hillenbrand, Die notwendige Verteidigung gem. § 140 StPO im Strafverfahren vor dem Amtsgericht – Teil 1, StRR 2014, 4

Lehmann, Notwendige Verteidigung bei ambulanter psychiatrischer Begutachtung, StV 2003, 356

Möller, Die Pflichtverteidigerbeiordnung im jugendrichterlichen Vollstreckungsverfahren, ZJJ 2010, 20

Molketin, Die notwendige Verteidigung bei Verkehrsdelikten, NZV 1989, 93

Ruhs, Notwendige Verteidigung bei Verständigungen – Zugleich Besprechung von OLG Naumburg, Beschl. v. 4.12.2013 – 2 Ss 151/13 und OLG Bamberg, Beschl. v. 3.12.2014 – 1 Ws 622/14, NStZ 2016, 706

s.a. die Hinw. bei → Pflichtverteidiger, Allgemeines, Teil P Rdn 3305.

 

Rdn 3477

1.a) Für die Bestellung eines Pflichtverteidigers nach der Generalklausel des § 140 Abs. 2 S. 1 Alt. 3 kommt es grds. darauf an, ob entweder die Sach- oder die Rechtslage schwierig ist. Insoweit gelten folgende allgemeine Kriterien (KK-Willnow, § 140 Rn 22; Meyer-Goßner/Schmitt, § 140 Rn 26 ff.; zur gem. § 60 OWiG zulässigen Beiordnung im Bußgeldverfahren → Bußgeldverfahren, Besonderheiten. Pflichtverteidigung, Teil B Rdn 1590; zur Beiordnung im Strafvollstreckungsverfahren → Pflichtverteidiger, Beiordnung in Strafvollstreckungsverfahren, Teil P Rdn 3372):

Die Sachlage ist u.a. schwierig, wenn die Feststellung der Täterschaft oder der Schuld eine umfangreiche(re), voraussichtlich länger dauernde oder aus sonstigen Gründen besonders schwierige Beweisaufnahme erfordern (so wohl auch BVerfG NJW 2007, 3563 [Ls.]; vgl. wegen der Einzelh. Teil P Rdn 3483).
 

☆ Bei der Abfassung des Beiordnungsantrags ist, sofern sich die Schwierigkeit der Sachlage, etwa aufgrund des besonderen Umfangs des Verfahrens, nicht aufdrängt, auf einen ausreichenden Vortrag zu achten, da teilweise vertreten wird, dass eine länger dauernde Hauptverhandlung oder eine schwierige Beweislage alleine für die Annahme einer schwierigen Sachlage ohne das Hinzutreten weiterer Umstände nicht stets für eine Verteidigerbestellung genüge (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt , § 140 Rn 27).Abfassung des Beiordnungsantrags ist, sofern sich die Schwierigkeit der Sachlage, etwa aufgrund des besonderen Umfangs des Verfahrens, nicht aufdrängt, auf einen ausreichenden Vortrag zu achten, da teilweise vertreten wird, dass eine länger dauernde Hauptverhandlung oder eine schwierige Beweislage alleine für die Annahme einer schwierigen Sachlage ohne das Hinzutreten weiterer Umstände nicht stets für eine Verteidigerbestellung genüge (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, § 140 Rn 27).

Die Rechtslage ist u.a. schwierig, wenn es bei der Anwendung des materiellen oder formellen Rechts auf noch nicht abschließend geklärte oder schwer zu beantwortende Fragen ankommt oder es um schwierige Abgrenzungsfragen geht (KG NJW 2008, 3449; StV 2016, 478; OLG Stuttgart StV 2002, 298; KK-Willnow, § 140 Rn 22 m.w.N.; vgl. wegen der Einzelh. Teil P Rdn 3487). Dies kann insbesondere im sog. Nebenstrafrecht der Fall sein, z.B. bei der Anwendung der Strafnormen des AufenthG (vgl. LG Ellwangen StV 2011, 664; LG Stuttgart InfAuslR 2012, 240). Abzustellen ist grds. auf die Beurteilung aus der Sicht eines juristischen Laien (Heghmanns, in: HBStrVfKap. VII Rn 41 f.; OLG Karlsruhe DAR 2005, 573). Die Schwierigkeiten können sich auch aus verfahrensrechtlichen Besonderheiten ergeben (vgl. Teil P Rdn 3485).
 

☆ Ist die Sach- oder Rechtslage schwierig, muss ein Pflichtverteidiger be...

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