Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachbarrechtsverzicht durch Baulast

 

Leitsatz (amtlich)

1. Nach dem geltenden deutschen Verwaltungsprozessrecht kann im baurechtlichen Nachbarstreit gleich in welcher Verfahrenskonstellation keine von der subjektiven Rechtsposition des um Rechtsschutz Ersuchenden losgelöste Beurteilung vorgenommen werden. Bei Anfechtung einer Baugenehmigung muss also ein Verstoß gegen zumindest auch dem Schutz des sich gegen das Bauvorhaben wendenden Nachbarn dienende und zum behördlichen Prüfungsgegenstand im konkreten Genehmigungsverfahren gehörende materiellrechtliche Bestimmungen festgestellt werden.

2. In den Fällen, in denen die Grundstücksnutzung aufgrund der konkreten Gegebenheiten, hier einem Nebeneinander von unterschiedlichen Nutzungen, mit einer spezifischen gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme belastet ist, ist gerade auch die Pflichtigkeit desjenigen in den Blick zu nehmen, der sich mit seinem Bauvorhaben sehenden Auges den Wirkungen von Immissionen ausgesetzt hat.

3. Die Duldungspflicht einer Baulast, durch die sich ein Wohnnachbar vor Errichtung seines Gebäudes verpflichtet hat, von einem angrenzenden Gewerbe- und Industriegebiet ausgehende Belästigungen in Form von Lärm, Gerüchen und dergleichen „entschädigungslos” hinzunehmen, findet allenfalls dort eine Grenze, wo die Einwirkungen eine Qualität und Intensität erreichen, die eine Gesundheitsgefährdung befürchten lassen oder bei der die bestimmungsgemäße Nutzbarkeit des Grundstücks zu Wohnzwecken ernsthaft in Frage gestellt wird.

 

Normenkette

VwGO § 124a Abs. 4, § 124 Abs. 1

 

Verfahrensgang

VG des Saarlandes (Urteil vom 24.05.2006; Aktenzeichen 5 K 114/05)

 

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das auf die mündliche Verhandlung vom 24. Mai 2006 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes – 5 K 114/05 – wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Zulassungsverfahrens trägt der Kläger. Außergerichtliche Kosten des Beigeladenen werden nicht erstattet.

Der Streitwert für das Berufungszulassungsverfahren wird auf 7.500,– EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

I.

Der Kläger hat im Jahre 2002 das Wohnhausgrundstück Parzellen Nr. 98/15 und Nr. 98/17 in Flur 8 der Gemarkung A-Stadt (B-Straße) von seinen Eltern M und C B. erworben. Etwa 50 m von dem Grundstück entfernt beginnt der Geltungsbereich des von der Verbandsversammlung des damaligen Planungsverbands des Amtsbezirks A-Stadt im Oktober 1973 als Satzung beschlossenen und im Januar 1974 bekannt gemachten Bebauungsplans zur Erweiterung und Änderung des Bebauungsplans „A” und „Am G/Im S”, der Gewerbe- und Industriegebiete ausweist. Der Kläger wendet sich gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung des Beklagten unter anderem zum Einbau einer Autolackieranlage in einer ehemaligen Lagerhalle im Rahmen seines Kfz-Reparaturbetriebs. Der Standort des Gebäudes wird vom Bebauungsplan erfasst. Dieser enthält hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung hierfür die Festsetzung eines Gewerbegebiets.

Am 14.4.1976 gaben die Eltern des Klägers als damalige Eigentümer seines Grundstücks im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens für das Wohnhaus folgende Erklärung ab:

„Es ist uns bekannt, dass unser Wohngebäude neben dem in einem rechtskräftigen Bebauungsplan ausgewiesenen Industrie- und Gewerbegebiet zu stehen kommt und dass die in diesem Gebiet sich ansiedelnden Betriebe sich belästigend (Lärm, Geruch usw.) auf unser Grundstück auswirken können. Wir sind bereit, diese Belästigungen entschädigungslos zu dulden.”

Nach der Eintragung einer entsprechenden Baulast zugunsten sämtlicher Grundstücke im Geltungsbereich des Bebauungsplans aus dem Jahre 1974 wurde die Baugenehmigung für das Wohnhaus erteilt und dieses bis 1978 errichtet. In der zugrunde liegenden Verpflichtungserklärung der Eltern zur Baulast heißt es:

„Uns ist bekannt, dass diese Erklärung unwiderruflich ist und die Baulasten auch gegenüber den Rechtsnachfolgern des belasteten und der begünstigten Grundstücke wirksam sind.”

Im Zusammenhang mit dem Streit um die Einrichtung eines Möbellagers in dem Gewerbegebiet verlangten die Eltern des Klägers, die damals noch Grundstückseigentümer waren, im Jahre 1998 die Löschung der Baulast. Der Beklagte lehnte das ab. Rechtsbehelfe der Eltern gegen diese Entscheidung blieben in allen Instanzen erfolglos. (vgl. dazu VG des Saarlandes, Urteil vom 6.9.2000 – 5 K 191/99 –, OVG des Saarlandes, Urteil vom 18.6.2002 – 2 R 2/01 –, BRS 65 Nr. 188, SKZ 2002, 302 Leitsatz Nr. 56, und BVerwG, Beschluss vom 29.10.2002 – 4 B 60.02 –) In dem damals ergangenen Urteil des Senats ist unter anderem ausgeführt, der Versuch der Eltern des Klägers, die Löschung der Baulast herbeizuführen und sich damit letztlich von der durch sie übernommenen Duldungsverpflichtung zu lösen, sei treuwidrig. Sie hätten mit der Bewilligung der Baulast und der hierdurch erst ermöglichten Errichtung ihres Wohnhauses entscheidend zum Entstehen der jetzt von ihnen beanstandeten, sich aus dem Nebeneinander von Wohn- und gewerblicher Nutzung ...

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