Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Anwendbarkeit der Richtlinie 2004/38/EG auf assoziationsberechtigte türkische Staatsbürger

 

Leitsatz (amtlich)

Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG ist auf assoziationsberechtigte türkische Staatsbürger nicht anwendbar.

 

Normenkette

Richtlinie 64/221/EWG Art. 1; Richtlinie 2004/38/EG Art. 28 Abs. 3; Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei Art. 7; ARB 1/80 Art. 6-7; GG Art. 19 IV; AufenthG § 53 Nr. 1 2. Alt., § 55; FreizügG/EU § 6 Abs. 5

 

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,– EUR festgesetzt.

 

Gründe

Der Antragsteller, auf dessen Aussetzungsantrag gegen die für sofort vollziehbar erklärte Ausweisungsverfügung der Rechtsvorgängerin des Antragsgegners – nachfolgend: Antragsgegner – vom 18.5.2005 der Senat mit Beschluss vom 21.10.2005 – 2 W 26/05 – die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 2.6.2005 bis zur Entscheidung der Widerspruchsbehörde wiederherstellte, hat nach Erlass des aufgrund mündlicher Verhandlung vom 20.9.2007 ergangenen Widerspruchsbescheids und Klageerhebung vom 20.11.2007 Antrag auf „Anordnung” der aufschiebenden Wirkung seiner zwischenzeitlich erhobenen Klage gestellt, der mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 22.4.2008 – 6 L 2083/07 – zurückgewiesen wurde. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Seine Beschwerde begründet der Antragsteller im Wesentlichen damit, dass der Widerspruchsbescheid rechtsfehlerhaft ergangen sei. Die Widerspruchsbehörde hätte die Frage der Anwendbarkeit der RL 2004/38/EG auf türkische Staatsangehörige nicht offen lassen dürfen. Sie habe verkannt, dass eine „Zusammenrechnung der Verurteilungen” – wie der Gegenschluss zu § 53 Nr. 1 2. Alt. AufenthG zeige – nicht möglich sei. Dies habe zu einer fehlerhaften Ermessensentscheidung im Sinne einer unzulässigen Ermessensüberschreitung geführt. Der Rechtsausschuss habe weiter verkannt, dass bei der Anwendbarkeit der Richtlinie das Ermessen der Behörden hinsichtlich der zu treffenden Ausweisungsverfügung ganz erheblich eingeschränkt sei. Deren Art. 28 III a schreibe vor, dass eine Ausweisung nicht verfügt werden dürfe, wenn der Betroffene seinen Aufenthalt – wie der Antragsteller – in den letzten 10 Jahren im Aufnahmemitgliedstaat gehabt habe. Ausschließlich dann, wenn zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit vorlägen, könne eine Ausweisung verfügt werden. Zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit könnten nach § 6 V FreizügG/EU aber nur dann vorliegen, wenn der Betroffene „wegen einer Freiheitsstrafe zu mindestens fünf Jahren” verurteilt worden sei. Da eine Ermessensausübung allenfalls bei Anwendbarkeit der Richtlinie in Betracht käme, wenn der Antragsteller zu „einer” Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren verurteilt worden wäre, sei die Frage der Anwendbarkeit von entscheidender Bedeutung, denn sie bestimme die Frage eines evtl. auszuübenden Ermessens bzw. die Grenzen der Ermessensausübung. Das Verwaltungsgericht habe die Anwendbarkeit der Richtlinie schon deshalb nicht offen lassen dürfen, da es, wie der Beschluss erkennen lasse, bei deren Anwendbarkeit die Voraussetzungen für das Vorliegen einer rechtmäßigen Ausweisungsverfügung hätte verneinen müssen. Eine abschließende Klärung dieser Frage sehe es jedoch dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. Bei Anwendbarkeit der Richtlinie sei jedoch weder die Ausländerbehörde noch der Stadtrechtsausschuss ermächtigt, eine Ermessensentscheidung zu treffen, vielmehr komme den Behörden ein Ermessensspielraum im vorliegenden Fall gar nicht zu. Für die Anwendbarkeit der Richtlinie 2004/38/EG spreche, wie das Verwaltungsgericht selbst ausführe, „dass der Europäische Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung eine europarechtliche Pflicht der Mitgliedstaaten zu einer weitgehenden Gleichbehandlung der unter ARB 1/80 fallenden türkischen Arbeitnehmer mit den bei ihm ansässigen freizügigkeitsberechtigten Staatsangehörigen anderer EG-Mitgliedstaaten” annehme. Auch der Hessische VGH bejahe die Anwendbarkeit der Richtlinie. Soweit das Verwaltungsgericht diese Anwendbarkeit für zweifelhaft halte, weil ein von den Arbeitnehmerrechten unabhängiges Daueraufenthaltsrecht einem türkischen Staatsangehörigen nach Art. 6 und 7 ARB 1/80 schon vom Prinzip her nicht offen stehe, sei dies unrichtig. Der Hinweis des erstinstanzlichen Gerichts, dass es dem Antragsteller freistünde, wieder in das Bundesgebiet einzureisen, wenn sich die Ausweisungsverfügung im Hauptsacheverfahren als unrechtmäßig erweisen sollte, sei „in hohem Maße unverhältnismäßig” und verletze den Antragsteller in seinem Grundrecht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 IV GG. Da die Verfügung nach allem nicht offensichtlich rechtmäßig sei, würden die privaten Interessen des Antragstellers an einem vorläufigen Verbleib im Bundesgebiet das öffentliche Interesse an einer sofortigen Abschiebung, die sich als...

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