Entscheidungsstichwort (Thema)

Hinweis der Dokumentationsstelle des Bundesgerichtshofs: Das Gericht teilt mit, dass der Senat die Revision zugelassen wegen der abweichenden Entscheidungen des OLG Dresden (14. Zivilsenat, Endurteil vom 10. Januar 2023 - 14 U 1307/22, GRUR-RS 2023, 732, beck-online) und des Kammergerichts (24. Zivilsenat, Beschluss vom 10. Juni 2020 - 24 U 164/19, GRUR-RS 2020, 28870, beck-online) hat.

 

Leitsatz (amtlich)

Die Weitersendung eines per Satellit empfangenen Fernseh- oder Hörfunksignals durch ein Kabelnetz an die Empfangsgeräte der Bewohner einer Senioreneinrichtung mit vollstationärer Altenpflege stellt keine öffentliche Wiedergabe dar, da sich die Weiterleitung nicht an eine unbestimmte Anzahl potentieller Adressaten richtet.

 

Normenkette

EGRL 29/2001 Art. 3; UrhG § 15 Abs. 3, §§ 20, 20b, 97 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Frankenthal (Pfalz) (Urteil vom 13.07.2022; Aktenzeichen 6 O 272/21)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 13.07.2022, Az. 6 O 272/21, geändert und die Klage abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

5. Der Streitwert wird für beide Rechtszüge - in Abänderung der Festsetzung durch das Erstgericht (§ 63 Abs. 3 Nr. 2 GKG) - auf 6.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die klagende GEMA, eine nach dem Verwertungsgesellschaftengesetz (VGG) zugelassene Verwertungsgesellschaft für die urheberrechtlichen Nutzungsrechte an geschützten Werken der Musik, nimmt die Beklagte, die deutschlandweit Seniorenwohnheime betreibt, wegen behaupteter Urheberrechtsverletzung auf Unterlassung in Anspruch.

In der Sache streiten die Parteien darüber, ob die Beklagte berechtigt ist, in ihrer Einrichtung für Betreutes Wohnen (vollstationärer Pflegebereich) im Pfälzischen D. ohne Erlaubnis der Klägerin über eine Satellitenempfangsanlage Rundfunksignale in die Zimmer der Heimbewohner weiterzuleiten.

Die Beklagte unterhält in D. ein S. Senioren- und Pflegezentrum, in welchem im Pflegebereich insgesamt 88 Einzel- und 3 Doppelzimmer auf insgesamt 4 Wohnbereichen vorhanden sind. Dort leben auf Dauer 89 ausschließlich pflegebedürftige Seniorinnen und Senioren, die neben der Wohnunterbringung auch umfassend pflegerisch versorgt und betreut werden. Zusätzlich zu dem vollstationären Pflegebereich verfügt die Einrichtung der Beklagten neben den Bewohnerzimmern über verschiedene Gemeinschaftsbereiche wie Speisesäle und Aufenthaltsräume.

Die Beklagte empfängt in der Einrichtung über eine eigene Satellitenempfangsanlage Rundfunkprogramme (Fernsehen/Hörfunk) und sendet diese zeitgleich, unverändert und vollständig durch ihr Kabelnetz an die vorhandenen Anschlüsse für TV/Hörfunk in den Zimmern der Heimbewohner weiter. Auf diese Weise werden sämtliche Bewohner-/Pflegezimmer des Senioren- und Pflegezentrums über die Verteileranlage mit Fernseh- bzw. Hörfunksignalen versorgt.

Die Klägerin nimmt hierzu den Rechtsstandpunkt ein, dass die Kabelweitersendung in der vorbeschriebenen Form eine "öffentliche Wiedergabe" im Sinne von § 15 Abs. 3 UrhG und Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG (Informationsgesellschaftsrichtlinie) darstelle, die lizenzierungspflichtig sei. Nachdem die Beklagte den Abschluss von entgeltlichen Lizenzverträgen verweigere, sei die in Rede stehende Handlungsweise der Beklagten rechtswidrig und ihr nach § 97 Abs. 1 UrhG zu verbieten.

Das Landgericht Frankenthal (Pfalz) hat mit dem angefochtenen Urteil, auf dessen tatsächliche Feststellungen (gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) und Entscheidungsgründe Bezug genommen wird, dem Unterlassungsbegehren der Klägerin stattgegeben.

Mit ihrer Berufung verfolgt die Beklagte das Ziel der Klageabweisung weiter. Sie beanstandet unter Wiederholung und Vertiefung ihrer Rechtsausführungen aus der ersten Instanz die rechtliche Beurteilung durch die Zivilkammer und hält an ihrem Rechtsstandpunkt fest, dass es sich bei den Bewohnern der Einrichtung um keine "Öffentlichkeit" im Sinne des Art. 3 der Informationsgesellschaftsrichtlinie handele, diese Personen jedenfalls eine "private Gruppe" im Sinne der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union bildeten und - höchst vorsorglich - jedenfalls kein "neues Publikum" seien.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und

die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil gegen die Angriffe der Berufung unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Hinzu komme, dass die Beklagte ihren Kundenkreis stetig erweitere. Nach deren aktuellem Werbeauftritt richte sich ihr Wohnangebot an Interessenten für Langzeitpflege, für Kurzzeitpfle...

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