Leitsatz (amtlich)

1. In Fällen, in denen gegen einen Ausländer ein Ermittlungsverfahren eingeleitet oder Anklage erhoben ist, ist stets von Amts wegen zu prüfen, ob die Staatsanwaltschaft mit der sofortigen Abschiebung trotz des laufenden Strafverfahrens einverstanden ist.

2. Auf die Frage, ob § 64 Abs. 3 S. 1 AuslG dem Schutz des Ausländers zu dienen bestimmt ist, kommt es nicht an; dies ergibt sich aus § 57 Abs. 2 S. 4 AuslG.

3. Beruht die Anordnung der Abschiebungshaft auf einem Verfahrensfehler und erledigt sich die Maßnahme später, stellt das Rechtsbeschwerdegericht deren Rechtswidrigkeit fest.

 

Normenkette

AuslG § 57 Abs. 2 S. 4, § 64 Abs. 3 S. 1; FGG § 12

 

Verfahrensgang

AG Neuwied (Beschluss vom 30.10.2002; Aktenzeichen 7 XIV 3440.B)

LG Koblenz (Aktenzeichen 2 T 746/02)

 

Tenor

1. Der angefochtene Beschluss und der Beschluss des AG Neuwied vom 30.10.2002 – 7 XIV 3440.B – werden aufgehoben.

2. Es wird festgestellt, dass die durch den vorbezeichneten Beschluss des AG Neuwied gegen den Betroffenen angeordnete Abschiebungshaft rechtswidrig war.

3. Der Betroffene trägt keine Gerichtskosten. Die außergerichtlichen Kosten des Betroffenen werden, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren, dem Landkreis … auferlegt.

 

Gründe

I. Die Ausländerbehörde (Beteiligte zu 2)) betrieb die Abschiebung des Betroffenen, eines türkischen Staatsangehörigen. Dieser wurde am 16.7.2002 vom AG Essen zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten bei Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Auf seine Berufung bestimmte das LG Essen Termin zur Hauptverhandlung auf den 14.1.2003.

Mit Beschluss vom 30.10.2002 ordnete das AG Neuwied gegen ihn zur Sicherung seiner Abschiebung mit sofortiger Wirksamkeit Abschiebungshaft auf die Dauer von längstens drei Monaten an.

Die vom Betroffenen hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde hat das LG Koblenz am 27.11.2002 zurückgewiesen. Daraufhin schob die Beteiligte zu 2) den Betroffenen am 9.12.2002 in sein Heimatland ab.

Gegen den Beschluss des LG wendet sich der Betroffene mit seiner am 12.12.2002 bei Gericht eingegangenen sofortigen weiteren Beschwerde.

II. 1. Die sofortige weitere Beschwerde ist in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden (§§ 103 Abs. 2 AuslG, 3 S. 2, 7 FEVG, 29 Abs. 1, 2 und 4, 22 Abs. 1 FGG).

Die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde wird nicht dadurch berührt, dass sich die Haftanordnung vor Einlegung der sofortigen weiteren Beschwerde durch die Abschiebung des Betroffenen erledigt hat. Denn im Hinblick auf das bei einer Freiheitsentziehung gegebene Rehabilitierungsinteresse besteht ein schutzwürdiges Interesse des Betroffenen an der Feststellung der Rechtswidrigkeit einer solchen Maßnahme auch noch nach deren Beendigung. Auf den Zeitpunkt der Erledigung kommt es nicht an (BVerfG BVerfGE 104, 220; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 23.4.2002 – 3 W 66/02; v. 24.4.2002 – 3 W 68/02). Einen ausdrücklichen Feststellungsantrag brauchte der Betroffene nicht zu stellen (OLG Zweibrücken NVwZ-Beilage I 11/2002, 116; Beschl. v. 18.12.2002 – 3 W 238/02; Keidel/Kahl, FGG, 14. Aufl., § 27 Rz. 11 m.w.N.).

2. In der Sache führt das Rechtsmittel zum Erfolg. Die Entscheidung des LG beruht auf einer Verletzung des Rechts (§ 27 Abs. 1 FGG). Das Beschwerdegericht hat – ebenso wie das AG – den entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt (§§ 103 Abs. 2 S. 1 AuslG, 3 S. 2 FEVG, 12 FGG). Die Vorinstanzen haben außer Acht gelassen, dass aufgrund der noch nicht rechtskräftigen Verurteilung des Betroffenen § 57 Abs. 2 S. 4 AuslG der Anordnung von Sicherungshaft entgegenstehen konnte. Die Vorschrift schließt Sicherungshaft aus, wenn eine rechtmäßige Abschiebung innerhalb der nächsten drei Monate nicht durchgeführt werden kann und das bestehende Abschiebungshindernis vom Betroffenen nicht zu vertreten ist.

a) In Fällen, in denen gegen einen Ausländer ein Ermittlungsverfahren eingeleitet oder Anklage erhoben ist, darf die Abschiebung gem. § 64 Abs. 3 S. 1 AuslG nur im Einvernehmen mit der zuständigen Staatsanwaltschaft vollzogen werden; das Fehlen des Einvernehmens hat der Ausländer nicht zu vertreten (§ 57 Abs. 2 S. 4 AuslG). in solchen Fällen ist daher gem. § 12 FGG stets von Amts wegen zu prüfen, ob die Staatsanwaltschaft mit der sofortigen Abschiebung trotz des laufenden Strafverfahrens einverstanden ist (BayObLG NVwZ-Beilage I 1/2002, 15; BayObLGReport 2001, 87; OLG Düsseldorf InfAuslR 1995, 207; FGPrax 2001, 130; OLG Frankfurt StV 2000, 377; OLG Schleswig NVwZ-Beilage I 7/2000, 87; I 12/2000, 151; LG Bielefeld InfAuslR 2001, 347). Das Erfordernis, das Einvernehmen der zuständigen Staatsanwaltschaft herbeizuführen, entfällt jedenfalls nicht vor dem rechtskräftigen Abschluss des strafprozessualen Erkenntnisverfahrens (so OLG Düsseldorf InfAuslR 1995, 207; Peglau, ZAR 2002, 242 [243]; weiter gehend BayObLG BayObLGReport 2001, 87; OLG Düsseldorf FGPrax 2001, 130; OLG Karlsruhe StV 2001, 467, die auf den Zeitpunkt der Erledigung des staatlichen Strafanspruchs, et...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge