Leitsatz (amtlich)

Die Dreimonatsfrist des § 57 Abs. 2 S. 4 AuslG beginnt im Falle der Anordnung von Sicherungshaft als Überhaft im Anschluss an eine Untersuchungs- oder Strafhaft nicht erst mit deren Vollzug, sondern bereits mit der Anordnung selbst. Denn die Sicherungshaft darf nicht dazu dienen, es der Ausländerbehörde zu ermöglichen, den Ausgang eines längeren Ermittlungs- oder Strafverfahrens erst einmal untätig abzuwarten.

 

Normenkette

AuslG § 57 Abs. 2 S. 4

 

Verfahrensgang

AG Köln (Aktenzeichen 5076 XIV 153/02)

LG Köln (Aktenzeichen 1 T 124/02)

 

Tenor

Auf die weitere sofortige Beschwerde der Betroffenen wird der Beschluss des Einzelrichters der 1. Zivilkammer des LG Köln v. 6.5.2002 – 1 T 124/02 – aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens – an das LG zurückverwiesen.

 

Gründe

I. Die Betroffene, die wahrscheinlich aus einem nordafrikanischen Staat stammt und deren Identität im Übrigen unbekannt ist, reiste zu einem unbekannten Zeitpunkt in das Bundesgebiet ein. Unter Vorlage einer gefälschten italienischen Identitätskarte verschaffte sie sich eine Arbeitserlaubnis und eine ihr am 20.9.2001 ausgestellte Lohnsteuerkarte. Am 5.3.2002 sprach sie zusammen mit einem italienischen Begleiter in einer Bezirksverwaltungsstelle der Stadt K. beim Sozialamt vor und wurde von dort zwecks Erlangung einer EG-Aufenthaltserlaubnis zum Ausländeramt geschickt. Bei Vorlage der Identitätskarte erkannte die Sachbearbeiterin des Ausländeramtes die Fälschung und veranlasste die vorläufige Festnahme der Betroffenen. Aufgrund eines Haftbefehls des AG Köln vom 6.3.2002 befindet sich die Betroffene wegen Verdachts des Verstoßes gegen das Ausländergesetz und der Urkundenfälschung derzeit noch in Untersuchungshaft, wurde aber von der JVA Köln in ein psychiatrisches Krankenhaus des Landschaftsverbandes Rheinland verlegt. Im Ermittlungsverfahren hat die Betroffene mit Schriftsatz ihres Verteidigers vom 19.3.2002 angegeben, sie sei marokkanische Staatsangehörige mit den im Rubrum in zweiter Linie genannten Personalien.

Ebenfalls mit Beschluss vom 6.3.2002 hat das AG Abschiebungshaft von einem Monat im Anschluss an die Untersuchungshaft angeordnet. Eine hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde hat das LG zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die weitere sofortige Beschwerde der Betroffenen.

II. Die gemäß §§ 3 Satz 2, 7 Abs. 1 FEVG, 103 Abs. 2 AuslG, 27, 29 FGG zulässige sofortige weitere Beschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das LG. Dessen Entscheidung ist nicht frei von Rechtsfehlern i.S.d. §§ 27 Abs. 1 FGG, 546 ZPO.

1. Keinen rechtlichen Bedenken unterliegen die Feststellungen des LG zum Haftgrund und zur Frage der Haftfähigkeit, die sich erst dann stellt, wenn die Abschiebungshaft auch zu vollziehen ist. Auf die diesbezüglichen Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen bezug. Ergänzend ist anzumerken, dass neben dem Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 57 Abs. 2 S. 1 Nr. 5) auch derjenige der unerlaubten Einreise (§ 57 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AuslG) vorliegt. Die behauptete, nicht konkretisierte und selbst nach der Aussage des Zeugen B. im Ermittlungsverfahren sehr zweifelhafte Heiratsabsicht ist für das vorliegende Verfahren unbeachtlich. Der an sich wegen der Abschiebungsvoraussetzungen an die Entscheidung der Ausländerbehörde gebundene Haftrichter hat zwar ausnahmsweise Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die den verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie gem. Art. 6 GG betreffen, etwa zur Verhinderung der Schaffung vollendeter Tatsachen, wenn verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz nicht rechtzeitig zu erlangen ist, oder durch nachträglich eingetretene Umstände die Anordnung von Abschiebungshaft als Mittel der Sicherung unnötig wird (vgl. hierzu OLG Köln v. 20.6.2001 – 16 Wx 122/01, OLGReport Köln 2001, 279). Diese Voraussetzungen liegen indes schon wegen Fehlens der für eine Eheschließung erforderlichen Papiere ersichtlich nicht vor.

2. Indes ist das LG zu weiteren Haftvoraussetzungen seiner Amtsermittlungspflicht aus § 12 FGG nicht hinreichend nachgekommen. Es hat zwar versucht, durch Beiziehung der Akten des Ermittlungsverfahrens und durch Einholung amtlicher Auskünfte den Sachverhalt weiter aufzuklären. Es fehlen aber Feststellungen zur Dreimonatsfrist des § 57 Abs. 2 S. 4 AuslG sowie zur Verhältnismäßigkeit der Haft.

a) Gem. § 57 Abs. 2 S. 4 AuslG ist die Sicherungshaft unzulässig, wenn feststeht, dass aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann. Diese Frist beginnt in dem hier gegebenen Fall der Sicherungshaft als Überhaft im Anschluss an eine Untersuchungs- oder Strafhaft nicht erst mit deren Vollzug, sondern mit der Anordnung selbst, also hier ab dem 6.3.2002 zu laufen; denn die Sicherungshaft darf nicht dazu dienen, es der Ausländerbehörde zu ermöglichen, den...

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