Leitsatz (amtlich)

Nach der am 27. April 2020 erfolgten Verkündung der 54. Verordnung zur Änderung verkehrsrechtlicher Vorschriften besteht, soweit die Änderungsverordnung wegen eines Verstoßes gegen das Zitiergebot aus Art. 80a Abs. 3 GG nichtig ist, die bis dahin geltende Rechtslage fort.

 

Verfahrensgang

AG Grünstadt (Entscheidung vom 17.03.2020; Aktenzeichen 1 OWi 5487 Js 2802/20)

 

Tenor

  1. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Grünstadt vom 17. März 2020 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Rechtsbeschwerderechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben hat.
  2. Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels (§ 473 Abs. 1 StPO).
 

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat folgenden Sachverhalt festgestellt:

"Am 18.09.2019 befuhr der Betroffene um 10:18 mit dem Pkw Skoda, amtliches Kennzeichen KH-..., die BAB 6 in der Gemarkung Neuleinigen in Fahrtrichtung Saarbrücken. Bei Autobahnkilometer 588,650 wurde die Geschwindigkeit des Betroffenen mit dem Messgerät Poliscan-Speed mit 132 km/h gemessen. Nach Abzug der Toleranz von 4 km/h hat der Betroffene an der genannten Stelle die wegen der im Streckenverlauf ca. 40 Meter davor liegenden Fahrbahnverengung von 3 auf 2 Fahrspuren auf 100 km/h beschränkte Höchstgeschwindigkeit um 28 km/h überschritten. Im Streckenverlauf vor dem o.g. Streckenabschnitt besteht seit Jahrzehnten eine stationäre Geschwindigkeitsbeschränkung und zwar wird die zulässige Höchstgeschwindigkeit ab km 584,0 wegen des steilen und kurvenreichen Anstiegs ohne Standspur am sog. Leininger Berg durch beidseitig der Fahrbahn aufgestellte Zeichen 274 stationär zunächst auf 130 km/h begrenzt, worauf etwa bei km 584,200 eine Begrenzung auf 100 km/h folgt, die im Bereich des Anstiegs und nach Erreichen der Kuppe noch mehrfach - zuletzt bei km 587,5 - wiederholt wird, bis schließlich etwa bei km 589,050 eine Aufhebung dieser stationären Geschwindigkeitsbegrenzung erfolgt. Bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte der Betroffene die Geschwindigkeitsbeschränkung sowie den Umstand, dass er die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritt, ohne weiteres erkennen können." Der Bußgeldrichter des Amtsgerichts hat diesen Sachverhalt als fahrlässiges Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 28 km/h und damit als Verstoß gegen §§ 24 StVG, 41 Abs. 1 i.V.m. Anlage 2, 49 StVO gewürdigt und deshalb im unter leichter Erhöhung des Bußgeldes nach Nr. 11.3.5 BKatV wegen einer einen Tag zuvor rechtskräftig gewordenen Ahndung wegen einer Abstandsunterschreitung ein Bußgeld von 100 Euro verhängt."

Zu der vorausgehenden Ahndung hat das Amtsgericht festgestellt:

"Wegen einer am 20.05.2019 auf der BAB 6 in der Gemarkung Bruchmühlbach-Miesau begangenen Abstandsunterschreitung (von weniger als 4/10 des halben Tachowerts bei einer Geschwindigkeit von 99 km/h) setzte die Zentrale Bußgeldstelle Speyer am 30.07.2019 gegen ihn eine Geldbuße von 100,- Euro fest, Az. 1360027186. Der Bußgeldbescheid wurde am 17.09.2019 rechtskräftig."

Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde, die er auf die Sachrüge stützt.

Insbesondere führt er aus, die "neue StVO" sei wegen eines Zitierfehlers des Gesetzgebers "nicht in Kraft getreten", was sich wegen § 4 Abs. 3 OWiG auch auf Tatzeitpunkte vor dem 28. April 2020 auswirke. Da nach dem 28. April 2020 die Androhung von Geldbußen für die betroffene Handlung ganz weggefallen sei, sei dieser Rechtszustand als das mildere Gesetz im Sinne des § 4 Abs. 3 OWiG anzusehen, weswegen das Verfahren nach § 46 Abs. 1 OWiG iVm. § 206 b StPO einzustellen sei. Die Gesetzesänderung sei auch noch im Rechtsbeschwerdeverfahren zu berücksichtigen.

Der Einzelrichter des Senats hat die Rechtsbeschwerde mit Beschluss vom 13. Oktober 2020 zur Fortbildung des materiellen Rechts zugelassen und die Sache zur Entscheidung auf den Senat mit drei Richtern übertragen, § 80 a Abs. 3 OWiG.

II.

Die zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

Eine Betrachtung der Rechtslage nach der Verkündung der 54. Verordnung zur Änderung verkehrsrechtlicher Vorschriften (BGBl. I vom 27. April 2020, S. 814 ff.) führt nicht zu einer günstigeren Gesetzeslage für den Betroffenen hinsichtlich der Geschwindigkeitsüberschreitung vom 18. September 2019. Das angefochtene Urteil beruht - auch bei Berücksichtigung der nach dem 28. April 2020 bestehenden Rechtslage im Rechtsbeschwerdeverfahren - nicht auf einer Verletzung des materiellen Rechts.

1. Zutreffend verweist die Rechtsbeschwerde im Ausgangspunkt allerdings darauf, dass auch noch im Rechtsbeschwerdeverfahren auf die Sachrüge hin zu überprüfen ist, ob sich die materielle Rechtslage zu Gunsten des Betroffenen geändert hat, § 4 Abs. 3 OWiG (sog. lex mitior-Regel; vgl. zu den Grundlagen KK-OWiG/Rogall, 5. Aufl. 2018, OWiG § 4 Rn. 20). Ebenfalls zutreffend nimmt die Rechtsbeschwerde dabei an, dass als "milderes Gesetz" auch ein zwischenzeitlich eingetretener Rechtszustand anzuseh...

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