Leitsatz (amtlich)

Bei der Prüfung der Wirksamkeit einer Beschränkung des Einspruchs auf einen von mehreren Tatvorwürfen ist der Bußgeldrichter nicht an die konkurrenzrechtliche Bewertung der Taten im Bußgeldbescheid gebunden. Werden in einem einheitlichen Bußgeldbescheid mehrere Geschwindigkeitsverstöße geahndet, so ist die Beschränkung des Einspruchs auf einen Tatvorwurf unwirksam, wenn abweichend von der rechtlichen Wertung im Bußgeldbescheid nicht von tatmehrheitlichen Übertretungen, sondern von einer natürlichen Handlungseinheit auszugehen ist.

 

Verfahrensgang

AG Ludwigshafen (Entscheidung vom 06.01.2017)

 

Tenor

  1. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Ludwigshafen am Rhein vom 6. Januar 2017 mit den Feststellungen aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Amtsgericht zurückverwiesen.
 

Gründe

I.

Das Polizeipräsidium Rheinpfalz - Zentrale Bußgeldstelle - hat mit dem zugrundeliegenden Bußgeldbescheid vom 31. März 2016 gegen den Betroffenen wegen einer am 4. Februar 2016 um 00:44 Uhr in der Gemarkung Ludwigshafen BAB 650 km 4,1 in der Fahrtrichtung Bad Dürkheim begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung eine Geldbuße festgesetzt. Ferner hat es in dem Bescheid wegen einer weiteren, hierzu als tatmehrheitlich gewerteten sowie mit Vorsatz begangenen weiteren Geschwindigkeitsüberschreitung vom 4. Februar 2016 (Tatzeit: 00:45 Uhr) eine weitere Geldbuße sowie ein Fahrverbot von einem Monat festgesetzt. Seinen zunächst umfänglich eingelegten Einspruch hat der Verteidiger mit Schriftsatz vom 3. Januar 2017 auf die zeitlich zweite Geschwindigkeitsüberschreitung beschränkt. Das Amtsgericht hat mit Urteil vom 6. Januar 2017 den Betroffenen insoweit wegen vorsätzlichen Überschreitens der erlaubten Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 66 km/h zu einer Geldbuße von 880,-- EUR verurteilt und gegen ihn ein Fahrverbot von zwei Monaten verhängt.

II.

Mit seiner Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung formellen und sachlichen Rechts. Das nach § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 OWiG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsmittel führt auf die Sachrüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung an das Amtsgericht; auf die daneben erhobenen Verfahrensbeanstandungen kommt es nicht an.

1.

Das Verfahren ist nicht nach §§ 354 Abs. 1, 206a Abs. 1 StPO i.V.m. §§ 79 Abs. 3 S. 1, 71 Abs. 1 OWiG wegen eines Verfahrenshindernisses einzustellen. Entgegen der in der Rechtsbeschwerdebegründung mitgeteilten Rechtsansicht des Verteidigers hat die Beschränkung des Einspruchs unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Strafklageverbrauch (§ 84 Abs. 1 OWiG) bewirkt. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob es sich bei den im Bußgeldbescheid enthaltenen Vorwürfen um ein und dieselbe prozessuale Tat handelt. Denn das Doppelbestrafungsverbot greift nicht ein, wenn - wie hier - beide Vorwürfe Gegenstand desselben, durch einen einheitlichen Bußgeldbescheid abgeschlossenen Vorverfahrens waren und die gerichtliche Entscheidung in (teilweiser) Fortsetzung dieses Verfahrens ergeht (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 03.10.2015 - 3 Ws (B) 403/15, juris Rn. 4 = VRS 129, 137 mwN.).

2.

Das Amtsgericht hat ferner im rechtlichen Ausgangspunkt zwar richtig erkannt, dass es an die Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses im Bußgeldbescheid nicht gebunden ist, sondern dieses eigenständig zu bewerten hat. Die insoweit lückenhaften getroffenen Feststellungen ermöglichen dem Senat jedoch nicht die Prüfung, ob das Amtsgericht zu Recht von einer tatmehrheitlichen Begehungsweise ausgegangen ist. Durch eine rechtsfehlerhafte Verneinung einer natürlichen Handlungseinheit kann der Betroffenen hier beschwert sein, weil dann die Teilrücknahme seines Einspruchs (§ 67 Abs. 2 OWiG) bei Annahme von Tateinheit nicht wirksam gewesen wäre (BGH NStZ 2003, 264, 265; KG Berlin aaO. Rn. 6). Dies hätte zur Folge, dass nach § 19 Abs. 1 OWiG hinsichtlich des gesamten, dem Bußgeldbescheid zugrunde liegenden Verkehrsgeschehens nur auf eine einzige Geldbuße zu erkennen gewesen wäre.

a) Bei mehreren im Verlaufe einer ununterbrochenen Fahrt begangenen Geschwindigkeitsübertretungen eines Kraftfahrzeugführers handelt es sich zwar im Regelfall um mehrere Taten im materiellen und prozessualen Sinne. Eine einzige Tat im Sinne einer sog. natürlichen Handlungseinheit kann aber dann vorliegen, wenn die einzelnen Verkehrsverstöße einen derart engen zeitlich-räumlichen und inneren Zusammenhang aufweisen, dass sich der gesamte Lebenssachverhalt bei natürlicher Betrachtung auch für einen unbeteiligten Dritten als ein zusammengehöriges Geschehen darstellt, dessen getrennte Betrachtung eine unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Verkehrsvorgangs darstellen würde (st. Rspr., vgl. Senat, Beschluss vom 20.02.2003 - 1 Ss 23/03, juris Rn. 6 = DAR 2003, 281; OLG Köln, Beschluss vom 17.08.2004 - Ss 259/04, NZV 2004, 536, 537; OLG Brandenburg, Beschluss vo...

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