Leitsatz (amtlich)

1. Macht der Geschädigte geltend, er sei durch die sittenwidrige Handlung des Täters zu schädlichen Vermögensdispositionen, hier dem Kauf eines Gebrauchtwagens mit dem Motor EA189, veranlasst worden, dann trifft den Täter der haftungsbegründende Vorwurf der sittenwidrigen Schädigung nur dann, wenn der Geschädigte die ihn schädigende Handlung gerade deswegen vorgenommen hat, weil er dazu sittenwidrig veranlasst worden ist. Daher muss für eine Haftung aus § 826 BGB im Zeitpunkt des Abschlusses des Gebrauchtwagenkaufs Sittenwidrigkeit vorliegen. (Anschluss BGH, Urteil vom 20. Februar 1979 - VI ZR 189/78 -)

2. Die Beklagte hat die breite Öffentlichkeit und damit auch die potentiellen Erwerber von Kraftfahrzeugen, die mit dem Motor EA 189 ausgestattet sind, in Form von Pressemitteilungen ab Ende September 2015 bis Mitte Oktober 2015 darüber informiert, dass dieser Motor mit einer Abschalteinrichtung versehen ist, die vom KBA als nicht ordnungsgemäß angesehen wird und daher zu entfernen ist. Bei der gebotenen Gesamtbetrachtung kann ab Mitte Oktober 2015 nicht mehr von einer weiterhin als sittenwidrig anzusehenden Veranlassung der Schädigung von Käufern durch das ursprünglich sittenwidrige Inverkehrbringen der Fahrzeuge ausgegangen werden.

3. Auf die konkrete Kenntnis des einzelnen Erwerbers von der Abschalteinrichtung bei Abschluss des Kaufvertrags kommt es bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit nach § 826 BGB nicht an.

4. Wird ein Erwerber bei Abschluss des Kaufvertrags darauf hingewiesen, dass sein Fahrzeug vom Rückruf wegen einer Abschalteinrichtung betroffen ist, entsteht ihm durch den Erwerb kein vom Hersteller des Fahrzeugs bzw. des Motors verursachter Schaden.

 

Normenkette

BGB § 823 Abs. 2, § 826; StGB § 263

 

Verfahrensgang

LG Ravensburg (Urteil vom 03.05.2019; Aktenzeichen 4 O 459/18)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 03.05.2019, Az. 4 O 459/18, wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Ravensburg ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 16.533,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Klägerin verlangt Schadensersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung und Betrugs im Zusammenhang mit dem Erwerb eines von der Beklagten hergestellten Kraftfahrzeugs.

Der Kläger kaufte am 25. Juli 2016 bei der Autohaus M. GmbH in B. ein gebrauchtes Kraftfahrzeug VW Touran "Style" 1.6 TDI. Das von der Beklagten hergestellte Fahrzeug ist mit dem Motor EA 189 ausgestattet. Es wurde erstmals am 29. November 2011 zugelassen.

Das Fahrzeug ist von der Problematik betroffen, die in der Öffentlichkeit unter den Schlagworten "Abgasskandal" oder "Dieselskandal" diskutiert wird.

Für das Fahrzeugmodell lag zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des streitgegenständlichen Fahrzeugs wie zum Zeitpunkt des Erwerbs durch den Kläger eine EG-Typgenehmigung vor. Die Motorsteuergerätesoftware verfügte über eine Fahrzykluserkennung; diese erkennt, wenn das Fahrzeug auf dem Prüfstand den Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) durchfährt. Die Software weist zwei unterschiedliche Betriebsmodi auf. Im NEFZ schaltet sie in den Modus 1, in dem es zu einer höheren Abgasrückführungsrate und zu einem verminderten Ausstoß von Stickoxiden (NOx) kommt. Außerhalb des NEFZ, also unter realen Fahrbedingungen im Straßenverkehr, wird das Fahrzeug im Modus 0 betrieben.

Mitte Oktober 2015 ordnete das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) gegenüber der Beklagten den Rückruf von 2,4 Millionen betroffenen Fahrzeugen an und vertrat die Auffassung, dass es sich bei der in den Fahrzeugen verwendeten Software um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt. Das KBA ordnete an, die entsprechende Software aus allen Fahrzeugen zu entfernen und geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit zu ergreifen.

Im Jahr 2016 erließ das KBA für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp eine Freigabebestätigung, nach welcher ein von der Beklagten entwickeltes Software-Update geeignet ist, die Vorschriftsmäßigkeit der Fahrzeuge herzustellen.

Das Software-Update wurde bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug durchgeführt.

Mit seiner Klage begehrt der Kläger Schadensersatz u.a. wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung und Betrugs durch die Beklagte. Er verlangt die Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs unter Anrechnung der Nutzungsentschädigung. Hilfsweise macht er Schadensersatz in Höhe von mindestens 25 % des Kaufpreises sowie die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz weitergehender Schäden geltend. Ferner macht er Zinsen gemäß § 849 BGB und die Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten geltend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands sowie der Anträge erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefoch...

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