Verfahrensgang

LG Stuttgart (Urteil vom 10.10.2019; Aktenzeichen 2 O 259/18)

 

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 10.10.2019, Az. 2 O 259/18, wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil und das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Stuttgart sind vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckungsschuldnerin kann die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 21.755,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Klägerin verlangt Schadensersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung und Betrugs im Zusammenhang mit dem Erwerb eines von der Beklagten hergestellten Kraftfahrzeugs.

Die Klägerin erwarb am 22.7.2016 beim ... das streitgegenständliche Fahrzeug, einen VW Sharan 2.0. TDI Comfortline, der über einen EA 189 Motor der Beklagten verfügt. Das Fahrzeug wurde erstmals im Jahr 2011 zugelassen. Die Klägerin nutzte das Fahrzeug vor dem Kauf nach eigenen Angaben als Leasingfahrzeug. Nachdem der Leasingvertrag ausgelaufen war, kaufte die Klägerin das Fahrzeug. Nach dem unbestrittenen Vortrag der Beklagten wurde am 01.06.2017 die ursprüngliche Umschaltlogik beseitigt.

Das Fahrzeug ist von der Problematik betroffen, die in der Öffentlichkeit unter den Schlagworten "Abgasskandal" oder "Dieselskandal" diskutiert wird.

Für das Fahrzeugmodell lag zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des streitgegenständlichen Fahrzeugs wie zum Zeitpunkt des Erwerbs durch die Klägerin eine EG-Typgenehmigung vor. Die Motorsteuergerätesoftware verfügte über eine Fahrzykluserkennung; diese erkennt, wenn das Fahrzeug auf dem Prüfstand den Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) durchfährt. Die Software weist zwei unterschiedliche Betriebsmodi auf. Im NEFZ schaltet sie in den Modus 1, in dem es zu einer höheren Abgasrückführungsrate und zu einem verminderten Ausstoß von Stickoxiden (NOx) kommt. Außerhalb des NEFZ, also unter realen Fahrbedingungen im Straßenverkehr, wird das Fahrzeug im Modus 0 betrieben.

Mitte Oktober 2015 ordnete das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) gegenüber der Beklagten den Rückruf von 2,4 Millionen betroffenen Fahrzeugen an und vertrat die Auffassung, dass es sich bei der in den Fahrzeugen verwendeten Software um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt. Das KBA ordnete an, die entsprechende Software aus allen Fahrzeugen zu entfernen und geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit zu ergreifen.

Das KBA erließ für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp eine Freigabebestätigung, nach welcher ein von der Beklagten entwickeltes Software-Update geeignet ist, die Vorschriftsmäßigkeit der Fahrzeuge herzustellen. Das Software-Update wurde im Jahr 2017 aufgespielt.

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Pkw wegen der Manipulation der Schadstoffemissionswerte, Feststellung des Annahmeverzugs und Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands sowie der Anträge erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil die Klägerin das zuvor geleaste Fahrzeug erst 10 Monate nach Bekanntwerden des sogenannten Dieselskandals erworben habe. Sie hätte sich informieren können, ob das zuvor geleaste Fahrzeug betroffen sei; dies habe sie unterlassen, obwohl ihr dies zumutbar gewesen sei. Ansprüche aus § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB würden schon deshalb ausscheiden, weil die Beklagte selber mit der Klägerin nicht in geschäftlichen Kontakt getreten sei. Im Übrigen habe die Beklagte spätestens ab September 2015 kein besonderes Vertrauen mehr in Anspruch genommen. Auch ein Anspruch aus § 826 BGB sei nicht gegeben. Eine sittenwidrige Schädigung sei ausgeschlossen, nachdem die Beklagte offengelegt habe, dass die Fahrzeuge manipuliert seien. Sittenwidrigkeit könne nur dann angenommen werden, wenn die Klägerin sich in einer Zwangslage befunden habe, das Fahrzeug zu kaufen und die Beklagte diese Zwangslage geschaffen habe. Dies sei nicht der Fall.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, die ihre erstinstanzlichen Anträge mit der Maßgabe weiterverfolgt, dass sie sich nun doch keine Nutzungsvorteile anrechnen lassen will.

Die Klägerin sieht den Tatbestand der sittenwidrigen Schädigung (§ 826 BGB) als erfüllt an. Daran ändere auch der Kaufzeitpunkt im Juli 2016 nichts. Auf jeden Fall hätten die Ad-hoc Mitteilungen der Beklagten im Herbst 2015 nicht ausgereicht. Die einzelnen Autokäufer hätten informie...

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