Leitsatz (amtlich)

›Kollidiert ein alkoholbedingt absolut fahruntüchtiger Fahrer infolge einer wesentlichen Überschreitung der Mittellinie mit einem Fahrzeug des Gegenverkehrs, dessen Fahrer das Rechtsfahrgebot nicht beachtet hat, muss sich der Fahrer bzw. Halter des entgegenkommenden Fahrzeugs wegen dieses Verkehrsverstoßes trotz groben Verschuldens des alkoholisierten Fahrers einen Mitverschuldensanteil von 20 % anrechnen lassen.‹

 

Verfahrensgang

LG Tübingen (Entscheidung vom 31.03.2006; Aktenzeichen 3 O 195/05)

 

Gründe

I.

Der Kläger verlangt von der Beklagten Schmerzensgeld, Schadensersatz und Feststellung aus einem Verkehrsunfall und geht dabei von einem Mitverschulden des Versicherungsnehmers der Beklagten in Höhe von 30 % aus. Zu den Einzelheiten wird auf die Feststellungen im Urteil des Landgerichts Tübingen verwiesen.

Das Landgericht hat die Klage durch Urteil vom 31.3.2006 abgewiesen. Gleichzeitig hat es der Beklagten im Wege der Widerklage eine Regressforderung gegen den Kläger und dessen drittwiderbeklagte Haftpflichtversicherung zugesprochen. Gegen dieses Urteil hat der Kläger hinsichtlich der Abweisung seiner Klage Berufung eingelegt.

Er macht geltend, daß das Urteil des Landgerichts verfahrensfehlerhaft ergangen sei. Er habe unter Beweisantritt vorgetragen, daß der Unfall durch eine Ausweichbewegung des Versicherungsnehmers hätte vermieden werden können. Gleichwohl sei das Landgericht ohne Beweisaufnahme davon ausgegangen, daß der Versicherungsnehmer auf sein Fahrverhalten nicht mehr rechtzeitig habe reagieren können. Aus den Akten seien keine entsprechenden Anhaltspunkte hierfür ersichtlich.

Im übrigen sei das Urteil rechtsfehlerhaft ergangen. Der Verstoß des Versicherungsnehmers des Beklagten gegen das Rechtsfahrgebot sei unfallursächlich gewesen. Dessen Verschulden sei nicht als gering anzusehen, weshalb eine Mithaftung der Beklagten in Höhe von 30 % anzunehmen sei.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Tübingen

1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus ab dem 17.9.2004 zu bezahlen;

2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2.952,91 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 17.9.2004 zu bezahlen;

3. festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche noch entstehenden materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfallereignis vom 24.12.2002 auf der Bundesstraße xxx zwischen xxx und xxx unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 30 % zu Lasten der Beklagten zu ersetzen, soweit diese nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers hat teilweise Erfolg.

1. Materieller Schaden

Die Beklagte ist verpflichtet, an den Kläger gem. §§ 823, 254 BGB, § 7, 17 StVG, § 3 PflVG 1.764,36 zum Ersatz seines materiellen Schadens zu zahlen.

Die Beklagte hat 20 % des Schadens des Klägers zu tragen. 80 % seines Schadens trägt der Kläger selbst.

a)

Unstreitig hat der Kläger den Unfall verschuldet, weil er sein Fahrzeug aufgrund alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit teilweise auf die Gegenfahrbahn gelenkt hat und dadurch den Zusammenstoß verursacht hat (§ 823 BGB).

b)

Der Versicherungsnehmer der Beklagten hat den Unfall mitverschuldet (§ 254 BGB).

aa)

Der Versicherungsnehmer der Beklagten hat gegen das Rechtsfahrgebot gem. § 2 Abs. 2 StVO verstoßen, weil er unstreitig hart an der Mittellinie gefahren ist. Bei Beachtung des Rechtsfahrgebotes durch den Versicherungsnehmer der Beklagten wäre der Unfall vermieden worden.

Gem. § 2 Abs. 2 StVO ist grundsätzlich möglichst weit rechts zu fahren. Dies gilt erst recht im Falle von Gegenverkehr. "Möglichst weit rechts" ist allerdings kein starrer Begriff. Vielmehr lässt er dem Kraftfahrer einen gewissen Beurteilungsspielraum, solange er sich soweit rechts hält, wie es vernünftig ist. Zu berücksichtigen ist die örtlichkeit, die Fahrbahnbreite, die Fahrbahnbeschaffenheit, die Fahrzeugart, die Geschwindigkeit und die Sicht sowie etwaige Dunkelheit. Im allgemeinen kann nach rechts ein Sicherheitsabstand von einem Meter eingehalten werden (OLG Frankfurt, RuS 1996, Seite 18).

Die Straße war an der Unfallstelle 6,90 m breit. Für den Versicherungsnehmer der Beklagten verblieb auf seiner Fahrbahn eine Breite von 3,95 m. Da er hart an der Mittellinie gefahren ist und sein Fahrzeug lediglich 1,67 m breit war, war er im Unfallzeitpunkt mehr als zwei Meter vom rechten Fahrbahnrand entfernt. Tatsachen für die Rechtfertigung dieser verkehrswidrigen Fahrweise sind weder vorgetragen noch aus den Akten ersichtlich.

Der Sachverständige xxx ist in seinem im Wege des Urkundsbeweises verwertbaren Gutachten im Strafverfahren unter Berücksichtigung der ebenfalls im Wege des Urkundsbeweises verwertbaren Angaben der Zeugin xxx zu dem Ergebnis gekommen (Bl. 156 d. Strafakten), daß ...

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