Leitsatz (amtlich)

1. Im Inland lebende Muslime, welche die religiöse Pflicht zum Fasten im Ramadhan oder zur Teilnahme an der Zakatzahlung nicht befolgen bzw. ablehnen, sind ein "Teil der Bevölkerung" der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des § 130 StGB.

2. Bei der Anwendung des § 130 StGB auf religiöse Bekenntnisschriften ist das Religionsgrundrecht (Art. 4 Abs. 1 GG) zu beachten.

 

Normenkette

StGB § 130; GG Art. 4 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Stuttgart (Entscheidung vom 24.01.2011; Aktenzeichen 40 Ns 3 Js 103498/08)

AG Böblingen (Aktenzeichen 12 Cs 3 Js 103498/08)

 

Tenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 24. Januar 2011 mit den zugehörigen Feststellungen

a u f g e h o b e n.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Berufungsstrafkammer des Landgerichts Stuttgart

z u r ü c k v e r w i e s e n.

 

Gründe

I. 1. Der Angeklagte ist vom Amtsgericht Böblingen - Strafrichter - am 08.10.2010 wegen Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 2 Nr. 1 b) StGB zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 40,- € verurteilt worden. Auf die Berufung des Angeklagten hat ihn das Landgericht Stuttgart - 40. Kleine Strafkammer - mit Urteil vom 24.01.2011 freigesprochen. Zwar hat sich das Landgericht davon überzeugt, dass der Angeklagte seit dem 29.11.2007 bis zumindest 05.06.2008 Vorsitzender des S. Vereins S. e. V. gewesen sei und dass in den Vereinsräumlichkeiten ab einem unbestimmten Zeitpunkt bis zum 05.06.2008 mit Wissen des Angeklagten Schriften des Autoren Muhammad Ibn Salih Al-Uthaimin mit dem Titel "Ein kurzer Einblick über Fasten, Tarawih-Gebet und Zakat" für jeweils 2,- € zum Verkauf angeboten worden seien. In den Schriften heiße es zum einen, jeder Muslim, der an Ramadhan nicht faste, sei als Ungläubiger zu betrachten und zu töten. Die diesbezügliche Passage laute:

"Die Pflicht, im Ramadhan zu fasten, wurde von allen Muslimen durch die ganze Geschichte hindurch einstimmig durchgeführt, so dass jeder Muslim, der die Pflicht zum Fasten im Ramadhan verneint oder zurückweist, als Abtrünniger und Ungläubiger betrachtet wird, der aufgefordert werden muss, zu bereuen. Wenn er das tut und dabei die Richtigkeit und Verpflichtung, im Ramadhan zu fasten, wieder anerkennt, dann ist alles in Ordnung, andernfalls muss er als Ungläubiger getötet werden."

Gleiches vertrete der Autor für die Pflicht zur Zahlung der Armensteuer (Zakat), bei deren Nichtentrichtung gegen diese dadurch als ungläubig zu behandelnde Person die Todesstrafe verhängt werden müsse. Die diesbezügliche Passage laute:

"Auf der Grundlage von Qur'an und Sunnah sind sich alle Muslime darin einig, dass jeder, der sich weigert, an der Zakatzahlung teilzunehmen, den Islam genauso ablehnt und er muss aufgefordert werden, zu bereuen. Wenn er ablehnt, soll er die Todesstrafe erhalten."

Es spreche Vieles dafür, dass es sich bei den Büchern um Schriften im Sinne des § 130 Abs. 2 StGB handele, die von dem Angeklagten öffentlich ausgestellt oder sonst zugänglich gemacht worden seien. Jedoch richte sich die Schrift nicht gegen einen "Teil der Bevölkerung" im Sinne des § 130 StGB, nämlich gegen eine abgrenzbare Bevölkerungsgruppe. Es sei eine Vielzahl von Gründen vorstellbar, warum ein in Deutschland lebender Moslem für sich die Pflicht zum Fasten im Ramadhan bzw. die Pflicht zur Teilnahme an der Zakatzahlung ablehne. Eine gemeinsame weltanschauliche Überzeugung einer Gruppierung von Muslimen, diese Pflichten einzuhalten, gebe es nicht. Es könnten mannigfaltige Gründe sein, die zu dieser Haltung führten.

2. Dagegen richtet sich die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft Stuttgart, die von der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart vertreten wird. Mit der Revision wird die Verletzung materiellen Rechts gerügt und eine Verurteilung des Angeklagten wegen Volksverhetzung erstrebt. Bei der vom Autor der Schrift genannten Personenmehrheit handele es sich um eine abgrenzbare religiöse Gruppe im Sinne von § 130 StGB. Aufgrund der bisherigen Feststellungen sei der Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt. Meinungs- und Religionsfreiheit stünden einer Verurteilung nicht entgegen.

II. Die zulässige Revision ist begründet. Die Freisprechung des Angeklagten mit der vom Landgericht gegebenen Begründung hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Im Inland lebende Muslime, welche die religiöse Pflicht zum Fasten im Ramadhan oder zur Teilnahme an der Zakatzahlung nicht befolgen bzw. ablehnen, sind ein "Teil der Bevölkerung" der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des § 130 StGB. Es erscheint möglich, dass noch Feststellungen getroffen werden können, die eine Verurteilung wegen Volksverhetzung tragen (s. unten III.). Das führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache.

1. Allerdings sind Muslime, welche die religiöse Pflicht zum Fasten im Ramadhan oder zur Teilnahme an der Zakatzahlung nicht befolgen bzw. ablehnen, keine "religiöse (....

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