Leitsatz (amtlich)

1. Konnte der Unterhaltsberechtigte seinen Unterhalt (teilweise) durch eine angemessene Erwerbstätigkeit nachhaltig sichern (§ 1573 Abs. 4 BGB), trägt er das allgemeine Arbeitsplatzrisiko.

2. Der Verlust einer solchen Erwerbstätigkeit berührt einen Anspruch auf Aufstockungsunterhalt, der bereits zuvor bestanden hat, nicht. Bedarfsprägende spätere Entwicklungen sind zu berücksichtigen, so dass eine Abänderung des Aufstockungsunterhaltes möglich ist.

3. Allein mit der Behauptung, der unterhaltsberechtigte Ehegatte habe keine ehebedingten Nachteile erlitten, kommt der Unterhaltspflichtige im Rahmen des § 1578b BGB seiner primären Darlegungslast nicht nach.

4. Die sekundäre Darlegungslast setzt regelmäßig besseres Wissen der nicht darlegungsbelasteten Partei voraus (vgl. BGH, NJW-RR 2008, 1260, 1270).

5. Haben die Ehegatten lange vor dem 1.1.2008 geheiratet und ihre Ehe im Hinblick auf die damals geltenden gesellschaftlichen und rechtlichen Verhältnisse ausgestaltet, hat das mit zunehmender Ehedauer wachsende Vertrauen in einen unbegrenzten Unterhaltsanspruch in die nach § 1578b BGB vorzunehmende Billigkeitsabwägung einzufließen.

 

Normenkette

BGB § 1573

 

Verfahrensgang

AG Calw (Urteil vom 22.02.2011; Aktenzeichen 6 F 350/08)

 

Tenor

1. Auf die Berufungen der Parteien wird das Urteil des AG Calw vom 22.2.2011 - 6 F 350/08, abgeändert und wie folgt neu gefasst:

In Abänderung des Prozessvergleichs des OLG Stuttgart vom 17.1.2006 - 17 UF 201/05, wird der Kläger verurteilt, folgenden monatlichen nachehelichen Unterhalt an die Beklagte zu bezahlen:

  • Für das Jahr 2008 monatlich 271 EUR
  • für Januar 2009 bis einschließlich August 2009 409 EUR
  • für September 2009 bis einschließlich August 2010 448 EUR
  • für September 2010 454 EUR
  • für Oktober 2010 bis Dezember 2010 393 EUR
  • ab Januar 2011 200 EUR.

2. Im Übrigen werden die Klage und die Widerklage abgewiesen.

3. Die weitergehenden Berufungen werden zurückgewiesen.

4. Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen werden gegeneinander aufgehoben.

5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

6. Die Revision wird nicht zugelassen.

Streitwert Berufung Kläger: bis 4.000 EUR

Streitwert Berufung Beklagte: bis 7.000 EUR

 

Gründe

I. Die Parteien streiten um die Abänderung eines vor dem Senat am 17.1.2006 (Az. 17 UF 201/05) abgeschlossenen Vergleichs, in dem sich der Kläger verpflichtet hat, an die Beklagte neben Unterhaltsrückständen ab März 2006 einen nachehelichen Unterhalt von monatlich 600 EUR zu bezahlen.

Der am 2.1.1945 geborene Kläger und die am 11.4.1951 geborene Beklagte haben 1978 geheiratet. Aus der im November 2000 geschiedenen Ehe sind die Kinder G. (geb. 21.4.1980), P. (geb. 17.3.1983) und T. (geb. am 9.3.1985) hervorgegangen. Der Scheidungsantrag wurde im Mai 1999 rechtshängig.

Die Beklagte hat die höhere Handelsschule besucht; der Schulbesuch war zugleich mit einer kaufmännischen Ausbildung verbunden. Nach der Schule arbeitete die Beklagte zunächst als Stenokontoristin und ging dann als Au-pair nach England, um ihre Sprachkenntnisse auszubauen. Nach ihrer Rückkehr war sie etwa acht Jahre bei der Firma ... beschäftigt, bevor sie mit der Geburt des ersten Kindes ihre Berufstätigkeit aufgegeben hat.

Nach der Trennung im Jahr 1999 ließ sich die damals 48-jährige Beklagte zur Sekretärin umschulen und begann am 3.6.2000 eine Tätigkeit bei der Firma ...; dort erhielt sie ein Nettoeinkommen von etwa 1.600 EUR monatlich. Vom 1.7.2001 bis September 2007 war die Beklagte bei der Fa ... beschäftigt. Ihr durchschnittlich erzieltes Nettoeinkommen betrug zuletzt 2.220 EUR (vgl. Schriftsatz Kläger vom 16.10.2010, Bl. 59 d.A., Protokoll vom 3.12.2008, Bl. 78 d.A.). Aufgrund einer betriebsbedingten Kündigung im September 2007 erhielt die Beklagte eine Abfindung von 22.112,08 EUR netto (vgl. Septemberabrechnung 2007, Bl. 63 d.A.). Ab Oktober 2007 erhielt die Beklagte Arbeitslosengeld von 1.479,90 EUR monatlich (vgl. Arbeitslosengeldbescheid, Bl. 39 d.A.). Zum Januar 2009 nahm sie eine Teilzeittätigkeit bei der Fa ... auf (75 %). Ab 1.11.2009 konnte sie ihre Tätigkeit - befristet - auf 100 % (2.200 EUR brutto) aufstocken. Das Arbeitsverhältnis wurde mehrfach verlängert, zuletzt befristet bis 30.11.2011 (Bl. 357 d.A.). Im Jahr 2010 erzielte sie ein Jahresbruttoeinkommen von 26.400 EUR (vgl. Dezemberabrechnung, Bl. 414 d.A.).

Der 66-jährige Kläger ist berentet. Bis 2010 bezog er eine Erwerbsunfähigkeitsrente sowie eine betriebliche Altersrente. Seit 2010 erhält er neben der Betriebsrente eine Regelaltersrente (Bl. 168 d.A.). Das unterhaltsrechtlich relevante Einkommen des Klägers belief sich im Jahr 2008 unstreitig auf insgesamt 2.648,12 EUR, in den Jahren 2009 und 2010 auf 2.842 EUR und seit Januar 2011 auf 3.040,33 EUR. Von der betrieblichen Altersrente werden seit Januar 2011 keine Steuern mehr abgeführt; der Kläger bildet daher monatliche Rücklagen von 166,56 EUR (vgl. Vermerk auf der Verdienstabrechnung, Bl. 396 d.A.).

Die Beklagte hat im Rahmen der Vermögensauseinandersetzung das Familienheim...

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