Leitsatz (amtlich)

Die Rechte des Inhabers eines Sicherungsscheins aus einer Sachversicherung werden ggü. dem Versicherer nicht bereits durch den Gesichtspunkt des versicherten Interesses, d.h. den Grundsatz der konkreten Bedarfsdeckung, eingeschränkt. Ob der gesicherte Eigentümer verpflichtet ist, die Versicherungsleistung zur Wiederherstellung des versicherten Fahrzeugs zu verwenden, ist allein im Rahmen der Rechtsbeziehung zum Nutzer des Fahrzeugs zu entscheiden. Eine abredewidrige Zahlung des Versicherers an den Versicherungsnehmer oder nach Schadensbehebung an die Werkstatt ist ggü. dem gesicherten Eigentümer nach Maßgabe des Sicherungsscheins ohne Tilgungswirkung.

 

Normenkette

VVG a.F. § 74; VVG §§ 75-76; VVG n.F. § 43; VVG §§ 44-45; BGB §§ 362, 546 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Stuttgart (Urteil vom 07.05.2010; Aktenzeichen 16 O 232/09)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des LG Stuttgart vom 7.5.2010 - Az. 16 O 232/09 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, 5.590,24 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.2.2009 sowie weitere 239,70 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 25.3.2009 an die Klägerin zu zahlen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

 

Gründe

I. Die Klägerin klagt gegen die Beklagte als Kaskoversicherer eines Pkw Mercedes aufgrund eines Sicherungsscheines, den ihr die Beklagte nach Erklärung des Versicherungsnehmers R. S. im Februar 2008 erteilt hat (Bl. 11 f. d.A.). Darin heißt es:

"1. Eine Entschädigung aus der Fahrzeugversicherung für das vorgenannte Fahrzeug wird, wenn sie 250 EUR übersteigt, ohne Ihre schriftliche Zustimmung nicht an den Versicherungsnehmer, sondern an Sie gezahlt ...

4. Leistungen gem. Ziff. 1 oder 3 erfolgen höchstens bis zu dem von Ihnen angegebenen Betrag, den der Versicherungsnehmer noch schuldet."

Nachdem der Versicherungsnehmer sowohl Anfang Mai 2008 als auch Anfang Januar 2009 einen Unfall mit dem versicherten Fahrzeug hatte, ließ er das Fahrzeug jeweils reparieren und trat die Versicherungsansprüche an die Werkstatt ab. Zwar bat die Beklagte die Klägerin entsprechend Ziff. 1 des Sicherungsscheins jeweils um Mitteilung, wohin die Versicherungsleistung gezahlt werden solle. Die Klägerin fragte jedoch lediglich nach dem ersten Unfall und einen Monat nach dem Anschreiben der Beklagten nach Einzelheiten zum Schadensfall, ohne sich zur Auszahlung zu äußern. Daher zahlte die Beklagte die Versicherungsleistung i.H.v. insgesamt 5.590,24 EUR (4.203,70 EUR für den Unfall vom Mai 2008 und 1.386,54 EUR für den Unfall im Januar 2009) direkt an die Werkstatt aus.

Eine direkte Vertragsbeziehung zum Versicherungsnehmer hat die Klägerin nicht. Das Fahrzeug wurde vielmehr im September 2006 von der E. GmbH an die EC. und sodann von dieser an den Versicherungsnehmer weitervermietet, wobei die EC. dem Versicherungsnehmer eine Kaufoption zum Ende der Mietdauer einräumte. Im Juli 2007 übernahm die Klägerin den Mietvertrag zwischen der E. GmbH und der EC. durch Vertrag mit der E. GmbH unter Zustimmung der EC.

Nachdem die EC. ab 1.1.2008 mit zwei Mietraten in Rückstand geraten war, kündigte die Klägerin ihr mit Schreiben vom 19.3.2009 (Bl. 66 d.A.) den Mietvertrag und forderte die Herausgabe des Fahrzeugs. Über das Vermögen der EC. wurde zwischenzeitlich das Insolvenzverfahren eröffnet. Auch den Versicherungsnehmer forderte die Klägerin zur Rückgabe des Fahrzeugs auf, wobei streitig ist, ob diese Aufforderung bereits vor oder erst nach den Schadensereignissen erfolgte. Der Versicherungsnehmer kam der Aufforderung jedenfalls nicht nach. Das Fahrzeug befindet sich weiterhin bei ihm.

Im Übrigen wird auf den Tatbestand des Urteils des LG Stuttgart vom 7.5.2010 - Az. 16 O 232/09 - (Bl. 13 ff. d.A.) Bezug genommen.

Das LG hat die Klage abgewiesen.

Die Klägerin wendet sich mit der Berufung gegen das Urteil im Ganzen. Der Gedanke der dem Urteil zugrunde gelegten BGH-Entscheidung vom 12.2.1985 (Az. X ZR 31/84, BGHZ 93, 391) könne vorliegend nicht herangezogen werden, da es hier gerade nicht um eine Verpflichtung zwischen Vermieter und Mieter gehe, sondern allein um eine die Beklagte aus dem Sicherungsschein treffende Verpflichtung. Anders als in einem typischen Leasingvertrag trage die sicherungsberechtigte Klägerin überdies das Risiko des zufälligen Untergangs des Fahrzeuges. Der Klägerin seien die Reparaturen des Fahrzeugs auch nicht zu Gute gekommen. Vielmehr vertiefe sich dadurch der Schaden durch die Nichtrückgabe des Fahrzeugs, den sie in erster Instanz mit dem Ausfall üblicher Mietraten bezeichnet hat (Bl. 99 d.A.).

Die Klägerin beantra...

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