Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage eines gefälschten Impfausweises in einer Apotheke. Rechtslage vor dem 24. November 2021

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei einem Impfnachweis handelt es sich um ein Gesundheitszeugnis im Sinne der §§ 277 ff. StGB, da die Impfung eine Information über die voraussichtlich gesteigerte Immunabwehrkraft als Aspekt des Gesundheitszustandes impliziert.

2. Eine Apotheke ist keine Behörde im Sinne der §§ 277 ff. StGB in der bis zum 23. November 2021 geltenden Fassung.

3. § 279 StGB in der bis zum 23. November 2021 geltenden Fassung stellte gegenüber § 267 StGB nur dann einen verdrängenden Privilegierungstatbestand dar, wenn von dem unrichtigen Gesundheitszeugnis zum Zweck Gebrauch gemacht wurde, eine Behörde oder Versicherungsgesellschaft zu täuschen.

 

Normenkette

StGB §§ 267, § 277 ff.; StPO §§ 203, 210

 

Verfahrensgang

LG Hechingen (Entscheidung vom 25.01.2022; Aktenzeichen 1 KLs 11 Js 11651/21)

 

Tenor

  1. Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Hechingen wird der Beschluss des Landgerichts - 1. Große Strafkammer - Hechingen vom 25. Januar 2022

    aufgehoben.

  2. Die Anklage der Staatsanwaltschaft Hechingen vom 2. Dezember 2021 wird zur Hauptverhandlung

    zugelassen.

  3. Das Hauptverfahren wird vor dem Landgericht - 1. Große Strafkammer - Hechingen

    eröffnet.

  4. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
 

Gründe

I.

Die Staatsanwaltschaft Hechingen erhob am 2. Dezember 2021 gegen den Angeklagten vor dem Landgericht Hechingen Anklage wegen Urkundenfälschung gemäß § 267 Abs. 1 StGB. Der Angeklagte soll am 8. November 2021 in der Stadtapotheke in S. der Mitarbeiterin N. H. in Kenntnis der wahren Sachlage ein auf seinen Namen ausgestelltes gelbes Impfbuch nach Muster der WHO vorgelegt haben, in dem auf Seite 20 unter der Überschrift "Schutzimpfungen gegen COVID-19" zwei Eintragungen zu tatsächlich nicht erfolgten Impfungen unter dem Datum 12. Mai 2021 ("CORMINATY Ch.-B. EY2172") bzw. 9. Juni 2021 ("CORMINATY Ch.-B. FC3095") eingetragen waren, wobei als ausstellender Arzt jeweils unrichtig das "Impfzentrum R." mit Signierung eingetragen gewesen sein soll. Durch die Vorlage des Dokuments habe der Angeklagte über seine tatsächlich nicht erfolgten Impfungen gegen das Corona-Virus täuschen und die Ausstellung eines sogenannten digitalen Impfnachweises erlangen wollen.

Die 1. Große Strafkammer des Landgerichts Hechingen hat mit Beschluss vom 25. Januar 2022 die Eröffnung des Hauptverfahrens aus rechtlichen Gründen abgelehnt. Nach Ansicht der Strafkammer stellen die §§ 277, 279 StGB in der bis zum 23. November 2021 geltenden Fassung im Verhältnis zu § 267 StGB privilegierende Spezialvorschriften dar, weshalb ein Rückgriff auf das allgemeinere Delikt der Urkundenfälschung ausgeschlossen sei. Ein hinreichender Tatverdacht nach anderen Vorschriften sei nicht ersichtlich, insbesondere liege kein Fall des § 75a Abs. 2 Nr. 1 IfSG in der zur Tatzeit geltenden Fassung vom 28. Mai 2021 vor.

Gegen diese ihr am 26. Januar 2022 zugestellte Entscheidung richtet sich die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Hechingen vom selben Tag, eingegangen beim Landgericht Hechingen am 27. Januar 2022. Mit ihrem Rechtsmittel erstrebt die Staatsanwaltschaft die Zulassung der Anklage und die Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Landgericht Hechingen.

Die Staatsanwaltschaft Hechingen vertritt die Ansicht, dass sich für die vorliegend angeklagte Fallkonstellation eine Spezialität des § 279 StGB in der bis zum 23. November 2021 geltenden Fassung nicht begründen lasse. Dem hat sich die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Beschwerdebegründung angeschlossen.

II.

Die statthafte (§ 210 Abs. 2 StPO) sowie form- und fristgerecht (§ 311 Abs. 2 StPO) eingelegte sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft führt - unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses vom 25. Januar 2022 - zur Zulassung der Anklage und zur Eröffnung des Hauptverfahrens vor der 1. Großen Strafkammer des Landgerichts Hechingen.

Das Hauptverfahren ist nach § 203 StPO zu eröffnen, wenn nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens der Angeschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint. Hinreichender Tatverdacht besteht, wenn bei vorläufiger Tatbewertung auf Grundlage des Ermittlungsergebnisses die Verurteilung in einer Hauptverhandlung mit vollgültigen Beweismitteln wahrscheinlich ist (BGH, Beschluss vom 15. Oktober 2013 - StB 16/13, juris, Rn. 16). Das Beschwerdegericht hat, wenn die Nichteröffnung mit der sofortigen Beschwerde angegriffen ist, das Wahrscheinlichkeitsurteil des Erstgerichts und dessen rechtliche Würdigung in vollem Umfang nachzuprüfen und die Voraussetzungen der Eröffnung selbständig zu würdigen (KK-StPO/Schneider, 8. Auflage 2019, § 210 StPO, Rn. 10). Nach diesem Maßstab ist der Angeklagte der ihm vorgeworfenen Tat der Urkundenfälschung hinreichend verdächtig.

1.

Vorliegend ergibt sich in tatsächlicher Hinsicht der hinreichende Tatverdacht aus den in der Anklage vom 2. Dezember 2021 bezeichneten Beweismitteln, insbesondere der Ein...

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