Leitsatz (amtlich)

Besorgnis der Befangenheit nach § 42 Abs. 2 ZPO kann vorliegen, handelt es sich bei der Partei eines Rechtsstreits um einen langjährigen Schulfreund des Vaters eines Richters des erkennenden Kollegialgerichts, den der Richter über viele Jahre hinweg bei regelmäßigen Besuchen der Partei im Haus seiner Eltern kennen gelernt hat und mit dem ihn ein freundschaftliches Verhältnis verbindet, auch wenn ein über diese Besuche hinausgehender persönlicher Kontakt zwischen dem Richter und der Partei nicht bestand oder besteht.

 

Normenkette

ZPO § 42

 

Verfahrensgang

LG Stuttgart (Beschluss vom 18.03.2010; Aktenzeichen 27 O 433/08)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss der 27. Zivilkammer des LG Stuttgart vom 18.3.2010 - 27 O 433/08 - abgeändert:

Das Ablehnungsgesuch der Klägerin gegen Richter Bxxx wird für begründet erachtet.

 

Gründe

Die in zulässiger Weise eingelegte sofortige Beschwerde der Klägerin, welcher das LG mit Beschluss vom 12.4.2010 (Bl. 167 d.A.) nicht abgeholfen hat, hat Erfolg. Das Ablehnungsgesuch der Klägerin gegen Richter Bxxx ist nach § 42 Abs. 2 ZPO begründet.

I.1. Besorgnis der Befangenheit (§ 42 ZPO) besteht bei Vorliegen objektiver Gründe, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber; rein subjektive, unvernünftige Vorstellungen des Ablehnenden scheiden aus (Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl., § 42 Rz. 9 m.w.N.). Es kommt nicht darauf an, ob der Richter wirklich befangen ist. Entscheidend ist allein, ob aus der Sicht des Ablehnenden genügend objektive Gründe vorliegen, die nach der Meinung einer ruhig und vernünftig denkenden Partei Anlass geben, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 42 Rz. 9 m.w.N.; Musielak/Heinrich, ZPO, 7. Aufl., § 42 Rz. 5). Es kommt auch nicht darauf an, ob sich der Richter selbst für befangen hält, wenn sich aus der Selbstablehnung auch die Besorgnis der Befangenheit ergeben kann (vgl. LG Leipzig NJW-RR 2004, 1003). Bei der Entscheidung, ob solche Besorgnis besteht, ist zwar zu berücksichtigen, dass es dem Richter aufgrund seiner Ausbildung und beruflichen Erfahrung im Regelfall ohne Schwierigkeiten möglich sein muss, sich der aus einer persönlichen Beziehung zu einer Partei resultierenden Gefahren bewusst zu sein und ihre Auswirkung auf das Verfahren zu vermeiden (vgl. LG Leipzig NJW-RR 2004, 1003). Gleichwohl ist nach dem Sinngehalt des § 42 Abs. 2 ZPO in Zweifelsfällen im Sinne einer Stattgabe des Ablehnungsgesuchs, nicht zu einer Zurückweisung zu entscheiden (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 17.1.2007 - 11 WF 1/07 - Rz. 3; Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 42 Rz. 10; Hüsstege in Thomas/Putzo, ZPO, 30. Aufl., § 42 Rz. 9; einschränkend Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 68. Aufl., § 42 Rz. 12 f.).

2. Nahe persönliche Beziehungen eines Richters zu einer Partei können die Besorgnis der Befangenheit grundsätzlich begründen. Dies gilt jedoch nicht generell. Ob die Besorgnis der Befangenheit mit Rücksicht auf freundschaftliche Beziehungen gerechtfertigt ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Maßgebend ist, ob nach Art und Gegenstand des Verfahrens und der sich daraus ergebenden Interessenlage vernünftigerweise befürchtet werden muss, der Richter stehe aufgrund seiner persönlichen Beziehung zu einem Beteiligten der Sache nicht unvoreingenommen gegenüber (vgl. BayObLG NJW-RR 1987, 127; LG Leipzig NJW-RR 2004, 1003; Hüsstege in Thomas/Putzo, a.a.O., § 42 Rz. 10). Im Regelfall wird etwa eine lockere Freundschaft mit Treffen bei dienstlichen Anlässen nicht ausreichen, um aus der Sicht eines Verfahrensbeteiligten bei vernünftiger Würdigung an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (vgl. Sächsisches OVG, Beschl. v. 19.4.2010 - 2 B 55/10 - Rz. 3). Dagegen können über das übliche Maß persönlicher kollegialer Bekanntschaft hinausgehende freundschaftliche Beziehungen oder gar eine enge Freundschaft zwischen Richter und Partei Umstände darstellen, die Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Richters begründen können (vgl. Thüringer OVG, Beschl. v. 1.10.2008 - 2 ZKO 165/08 - Rz. 11; Sächsisches OVG, Beschl. v. 19.4.2010 - 2 B 55/10 - Rz. 3; LG Leipzig NJW-RR 2004, 1003).

II. Nach diesen Maßstäben liegt hier Besorgnis der Befangenheit i.S.v. § 42 Abs. 2 ZPO vor.

1. Richter Bxxx hat in seinen dienstlichen Stellungnahmen mitgeteilt, bei dem Beklagten Ziff. 1 handle es sich um einen langjährigen Freund seiner Familie. Der Beklagte Ziff. 1 sei mit seinem Vater zur Schule gegangen. Sein Vater habe sich regelmäßig mit dem Beklagten Ziff. 1 und weiteren Schulfreunden getroffen, diese Treffen hätten abwechselnd bei den einzelnen Personen stattgefunden. Sein Vater sei mit seinen Schulfreunden auch alle paar Jahre gemeinsam in Urlaub gefahren. Er selbst kenne den Beklagten Ziff. 1 seit seiner Kindheit und habe ihn regelmäßig bei etwa drei bis vier Besuchen pro Ja...

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