Leitsatz (amtlich)

1. Das Überholen einer Kolonne durch einen Kleintransporter auf einer Bundesstraße unmittelbar hinter einer Ortschaft stellt noch kein Überholen bei unklarer Verkehrslage dar.

2. Setzt ein Kleintransporter zum Überholen von drei vor ihm fahrenden Fahrzeugen an und schert das mittlere plötzlich aus, so haftet er mit 30 % der entstandenen Schäden.

 

Verfahrensgang

LG Schwerin (Urteil vom 04.04.2006; Aktenzeichen 1 O 403/03)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des LG Schwerin vom 4.4.2006 (Az.: 1 O 403/03) wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für die Berufung wird auf 81.745,81 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Kläger begehrt Schadensersatz und Schmerzensgeld aus einem Verkehrsunfall, der sich am 21.10.2002 gegen 09.00 Uhr in der Nähe von Güstrow ereignet hat. Die Parteien befuhren die Bundesstraße 104 in Richtung Güstrow. An der Spitze der sich gebildeten Kolonne befand sich ein Lastkraftwagen mit Sattelauflieger, gefolgt vom Beklagten zu 1) in einem Pkw Renault. Hinter ihm war der Zeuge ... in einem Lastkraftwagen unterwegs. Am Ende der Kolonne fuhr der Kläger mit einem Kleintransporter der Marke Iveco. Einige 100 Meter hinter der Ortschaft Witzin setzte der Kläger zum Überholen der Kolonne an. Nachdem er den Lastkraftwagen des Zeugen ... überholt hatte, scherte der Beklagte zu 1) mit seinem Pkw ebenfalls nach links auf die Gegenfahrbahn aus. Dabei kollidierte er im Bereich seines linken hinteren Hecks mit dem Fahrzeug des Klägers, welches daraufhin ins Schleudern geriet und an einen Straßenbaum prallte. Hierdurch wurde der Kläger schwer verletzt. Die Beklagten zahlten vorprozessual Schmerzensgeld i.H.v. 25.000 EUR an den Kläger. Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes nimmt der Senat Bezug auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils.

Das LG Schwerin hat der Klage nach Vernehmung des Zeugen ... und der Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zum Teil stattgegeben. Zur Begründung hat die Kammer ausgeführt, der Kläger habe die Unabwendbarkeit des Verkehrsunfalles nicht nachweisen können. Weder sei der konkrete Unfallverlauf aufgeklärt, noch habe der Kläger das Gericht davon überzeugen können, dass der Beklagte zu 1) seinen Fahrtrichtungsanzeiger nicht gesetzt habe. Vielmehr müsse er sich ein Mitverschulden i.H.v. 30 % zurechnen lassen, weil er trotz einer unklaren Verkehrssituation überholt habe. Der Beklagte zu 1) sei nämlich bereits mehrfach nach links ausgeschert und habe damit seine Überholabsicht kundgetan. Schließlich sei auch das geltend gemachte Schmerzensgeld mit 100.000 EUR zu hoch angesetzt. Ausweislich der erlittenen Verletzungen stünden dem Kläger insgesamt nur 40.000 EUR zu. Der begehrte materielle Schadensersatzanspruch sei trotz des richterlichen Hinweises erstmals mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 16.3.2006 dargelegt worden.

Ergänzend wird auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung verwiesen.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers vom 26.4.2006. Er ist der Auffassung, an seinem Verschulden fehle es schon deshalb, weil keine unklare Verkehrslage bestanden habe. Auch sei der Unfall für ihn unvermeidbar gewesen, denn er habe nicht vorhersehen können, dass ihm der Beklagte zu 1) sein Überholvorrecht streitig mache. Das geforderte Schmerzensgeld sei schon angesichts der gravierenden Herabsetzung seiner Persönlichkeit infolge der erlittenen Verletzungen gerechtfertigt. Auch die Abweisung der begehrten materiellen Schäden sei rechtsfehlerhaft erfolgt. Er habe seinen Anspruch bereits in der Klageschrift unter Hinweis auf Anlage 2 substantiiert vorgetragen. Im Übrigen habe ihm das Gericht weder eine Frist zur Substantiierung gesetzt, noch habe er damit rechnen können, dass der Antrag auf Schriftsatznachlass unberücksichtigt bleiben würde.

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagten zu 1.) bis 3.) zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens weitere 75.000 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 % über dem Basissatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

2. die Beklagten zu 1.) bis 3.) zu verurteilen, als Gesamtschuldner an den Kläger 4.745,81 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 % über dem Basissatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

3. festzustellen, dass die Beklagten zu 1.) bis 3.) verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche materiellen und immateriellen Schäden, die aus dem Unfall vom 21.10.2002 in Zukunft entstehen, einzustehen haben, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.

Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagten sind der Auffassung, die Berufung sei unzulässig, soweit der Kläger die ihm bereits zugesprochenen Ansprüche weiter verfolge. Im Übrigen verteidigen sie das erstinstanzliche Urteil.

II.1. Die Berufung ist zulässig. Insbesondere verfolgt der Kläger mit seiner Berufung lediglich den abgewiesenen Teil seiner Klage weiter...

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